Sonntag, 17. Januar 2021
Inklusion, das potemkinsche Dorf
Eines Tages wurde dann auch in unserem Bereich (der Beschulung fremdsprachiger Jugendlicher) die Inklusion eingeführt. Die Behörde hatte zu diesem Zweck projektgebundene Gelder aus Brüssel herangeschafft. Es funktionierte so: Die Schule ernennt einen Lehrer als Inklusionsbeauftragten, an den sich die Kollegen wenden können, wenn da ein Schüler irgendwie übermäßig auffällig wird. Der reicht die Meldung weiter an die Behörde, die dann ein „Screening“ macht. Das heißt, zwei Leute von der Behörde (von Beruf Lehrer, wie ich vermute) setzen sich in den Unterricht und beobachten möglichst unauffällig Pi mal Daumen, ob sie den oder die Schüler auch auffällig finden. Wenn ja, werden der Schule entsprechend mehr Sozialpädagogenstunden zugeteilt, die individuell genutzt werden können.

An meiner Schule konnte auf diesem Wege eine weitere Sozialpädagogin gebucht werden – schulische Sozialpädagogen werden ja über outgesourcte Billigfirmen gebucht, damit man sie schlechter bezahlen und immer schön befristet anstellen kann. Die erfuhr an ihrem ersten Arbeitstag, dass sie mit der Hälfte ihrer Stelle für Inklusionsschüler zuständig sein soll. Sie hatte sich mit dem Thema zuvor nie beschäftigt, auch nie Sozialpädagogik studiert. Zum Glück eine engagierte und zupackende Frau, die in anderer Hinsicht viel Gutes bewirkte. Von Sonderpädagogik allerdings keine Spur.

Meine Kollegin L. hatte den Posten der Inklusionsbeauftragten inne. Sie hat selbst einen chronisch erkrankten Sohn im schulpflichtigen Alter, sodass ihr das Thema nicht ganz fremd ist. Ich fragte sie im Vertrauen: „Ist das nicht ein bisschen unprofessionell, was hier abläuft?“ - „Natürlich“, erwiderte sie, „das ist sogar manchmal zum Schmunzeln beim Treffen der Inklusionsbeauftragten, wenn sie dann alle ihre ersten Erfahrungen und Mutmaßungen austauschen und die Leute von der Behörde wissen auch nicht mehr … aber weißt du, ich erleb es ja bei meinem Sohn, dass manchmal die Ärzte auch nicht weiter wissen und manchmal ein engagierter Therapeut oder Berater einfach die entscheidenden praktischen Tipps gibt.“

Das ist sicher richtig., das hab ich auch schon erlebt, dass z. B. Heilpraktiker oder Physiotherapeuten entscheidende Heilungsprozesse initiieren, wo der Arzt wegen Überlastung oder Ideenlosigkeit nicht weiter kommt. Aber deshalb würde doch niemand auf die Idee kommen, die Ärzteschaft abzuschaffen …

… aber ich komme schon wieder ins Nörgeln und Übertreiben. Denn das passiert ja auch bei uns nicht: Natürlich gibt es weiter die psychologische Beratungsstelle der Schulbehörde, die psychotherapeutische Anlaufstelle für Migranten am Krankenhaus, die Produktionsschule für die Schulhasser und -schwänzer, und das eine, einzige Mal, dass uns tatsächlich ein körperbehinderter (nämlich nahezu gehörloser) Migrant als Schüler zugewiesen wurde, da kam der ganz ohne das Inklusionssystem ganz schnell an eine Schule für Gehörlose, wo er sich sehr wohl fühlen soll.

Inklusion, wie sie bei uns auftritt, scheint mir einfach nur ein weiteres, wenig effektives System zu sein, dass natürlich nicht ganz sinnlos ist: Natürlich hat ein verhaltensauffälliger Schüler, wenn er mehr individuelle Betreuung kriegt, mehr von seinem Schulbesuch. Aber irgendwie ist das auch wieder das System „Dorfschule“, das die Migrantenbeschulung auch in anderer Hinsicht ist (indem einfach alle zwischen 16 und 18 Jahren in einen Klassenraum gestopft werden). Und irgendwie ist es eines Sozialstaats nicht würdig, der seit Jahrzehnten etablierte Institutionen mit hochspezialisiertem Personal besitzt, um benachteiligten Menschen zu helfen.

Sie können sich vielleicht vorstellen, dass mich ein schadenfrohes Grinsen überkam, als ich erfuhr, was die Inklusionsschüler nach ihremSchulbesuch erwartet. Das Arbeitsamt ignoriert die Inklusionseinstufungen der Schulbehörde und lässt nach eigener Einschätzung und unter Aufsicht eigens eingestellter Psychologen testen.

Bleibt noch die Frage des Geldes. Solang das aus Brüssel floss, musste man nicht darüber nachdenken. Jetzt ist das Projekt vorbei, die Schulbehörde muss sparen, also „verstetigt“ sie die Errungenschaften (wie sie auf ihrer Webseite stolz verkündet), indem sie die „Screenings“ jetzt die Sozialpädagogen an den Schulen selbst durchführen lässt. Wenn das eh witzlos ist, dann kann das Billigpersonal es auch selbst durchführen. Die müssen schließlich auch später die Arbeit machen mit den schwierigen Schülern, frei nach dem Motto unserer Leistungsträger-Gesellschaft: Je härter die Arbeit, desto niedriger das Gehalt.

Also, ich wünsche der Behörde, die dieses System erfunden hat, dass die Sozialpädagogen jetzt einfach wahllos ganz viele Schüler zur Inklusion anmelden, um ihre eigenen Arbeitsplätze zu sichern. (Und sollte hier ein Rechter mitlesen und „Migrantenindustrie“ murmeln, dem kann ich nur zurufen: Mit „Industrie“ hat das gar nichts zu tun, im Gegenteil – es ist die Rache der Unterdrückten.)

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Je härter die Arbeit, desto niedriger das Gehalt. - viel Wahres in dem Satz!

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