Sonntag, 12. Januar 2020
Glücklich mit Büchern


Das Schöne am Januar ist, dass nach der Geschenkorgie des Jahresendes (Geburtstag und Weihnachten) der Nachttisch wieder voller Bücher ist.

Angefangen hab ich mit „Flutgebiet“ von Malte Borsdorf – mein Vater hatte Lobendes darüber in der FAZ gelesen und inhaltlich geht es um die Hamburger Flut von 1962. Wahrscheinlich ist ihm nicht aufgefallen, dass das überschwängliche FAZ-Lob von einem DDR-Journalisten kommt, der es irgendwie in die FAZ geschafft hat. Denn das Buch ist genau so, wie es Ostalgie-Ossis (und offenbar nicht nur die) lieben: historisch korrekt und aufschlussreich, aber inhaltlich voller Platitüden, sprachlich ebenfalls korrekt, brav, kitschig bis zur völligen Langeweile. Erinnerte mich an die derzeit üblichen, kaum erträglichen historischen Fernsehfilme und Serien von „Weißensee“ bis „Charité“. Ich legte das Buch beiseite und werd es (da es mich inhaltlich interessiert) fertiglesen, wenn gar nichts mehr anderes zum Lesen auf dem Nachttisch liegt.

Sicher erfährt man bei Borsdorf einiges Interessante über das Leben in den 50er/60er Jahren im Hamburger Raum – aber wie viel farbiger, witziger, detailreicher und reflektierter liest sich das, wenn Frank Schulz von den Jugendjahren seines Vaters berichtet! Nachzulesen in einem Erzählungsband mit dem wunderschönen Titel „Anmut und Feigheit“. Hat mir meine Frau geschenkt, mit den Worten: „Das versteh ich nicht: Du liebst Frank Schulz und dann kennst du seine neueren Bücher nicht!“ Recht hat sie. Neben mäßig guten Texten gibt es in dem Band Perlen der Komik, etwa wenn eine „Schnurre“ so beginnt: „Als Busenfreundin kriegt frau ja so einiges zu hören. Die dollsten Dinger aber die Busenfreundin von Eva Schoff, heute bekanntlich erfolgreiche Filmproduzentin, einst jedoch berüchtigte Bacchantin, Hasardeurin und Femme fatale aus dem Schanzenviertel. Sie haben Sie mal kennengelernt? Wundert mich nicht. “ Da könnte ich mich schon kringeln vor Vergnügen. Und es wird noch komischer – und nirgends platt. Köstlich!

Von der Buchhändler-Schwägerin hab ich „Brüder“ von Jackie Thomae gekriegt, denn die kennt die Schnittmenge von Buchpreistiteln mit meinem Geschmack: Es geht um DDR und um Schwarze, nämlich zwei Brüder von DDR-Müttern mit einem schwarzen Vater. Die NZZ verriss das Buch wegen seiner Trivialitäten - ein typischer NZZ-Denkfehler: sachlich korrekt, aber ohne Gespür für die Zwischentöne, auf die es im Leben ankommt. Der Roman (ich hab ihn jetzt halb durch) ist auf amerikanische Weise rasant geschrieben, was natürlich nicht ohne Trivialitäten in der Handlungsführung abgeht. Großartig aber ist, wie treffsicher in kleinen Bemerkungen da Zeitkolorit skizziert wird. Im Klappentext steht, die Autorin hat vorher Sachbücher verfasst. Und fast les ich das auch wie ein Sachbuch: Man erfährt, wie es gewesen ist, wie im Sachbuch, nur mehr auf den Punkt (zumindest erkenne ich die Bereiche, die mir vertraut sind, und nehme an, dass mir Fremdes ebenso korrekt und detailgenau geschildert ist). Allein schon die Charakterisierung der beiden DDR-Mütter! Selten habe ich eine so exakte Darstellung typischer DDR-Charaktere gelesen, die überhaupt nichts Pauschalisierendes oder gar Diffamierendes hat. Oder dieser Satz über ein paar Typen, die Ende der 90er Jahre, eine halblegale Party-Gründung legalisieren müssen: „Fabian hatte seine Flipcharts herangezogen, die er neuerdings für Meetings verwendete. […] Flipcharts hatten eine Ausstrahlung von heißer Luft, andererseits schien heiße Luft im Moment einen beträchtlichen Marktwert zu haben.“ Kann man es besser sagen?

Aprpos Fachbücher: Von meinem politischen Bruder hab ich mir „Die geführte Familie“ von Paul Ginsborg gewünscht (ein Tipp aus Philipp Thers hervorragendem Buch „Das andere Ende der Geschichte“, da ich im Herbst las), eine Darstellung der Familienverhältnisse unter europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts: Spanien, Italien, Türkei, Deutschland, Sowjetunion. Da hab ich bisher nur ein bisschen Sowjetunion gelesen, dann hat es mir meine Frau weggeschnappt, die jetzt schon einige Stunden drin schmökert. Ich hab auf den wenigen Seiten bisher schon manches entdeckt: die Biographie von Alexandra Kollontai z. B. und ihr phänomenal modernes Familiengesetz aus der russischen Revolutionszeit. Oder Aspekte des russischen Bauernlebens im 19. Jahrhundert, die ich sofort wiedererkannte, da sie sich offenbar über die Kolchosen bis hin zu den LPGs vererbt haben … ach, man müsste reich oder krank oder arbeitslos sein und die Zeit haben, einfach ein paar Wochen lang nur zu lesen …

(Und, lieber schizophrenist, nehmen Sie mir den letzten Satz nicht übel, ich hab sie wohl kürzlich gelesen, die Kehrseite dieses Zeithabens, sie ist mir durchaus bekannt.)

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