Freitag, 7. November 2014
Kürzestrezension: „Bornholmer Straße“
Ich weiß nicht, ob Sie das gesehen haben (ich als bekennender Ossi musste natürlich): „Bornholmer Straße“ von Christian, Heide und Rainer Schwochow in der ARD. Um mein Urteil vorweg zu nehmen: Das war ganz okay, regte keinen auf, war aber völlig verzichtbar – ein glattes, witziges Stricken an einem Mythos, den man sich getrost um 20.15 Uhr ansehen kann, der keinem weh und jedem wohltut und jegliche ernsthaften Konflikte außen vor lässt.
Wie kommt sowas zustande? Ganz einfach: Heide Schwochow hat in der DDR erst Pädagogik, dann Philosophie studiert („ein Studium, das in diesem Land kein Studium, sondern eine Gehirnwäsche war“, wie Martin Ahrends richtig bemerkte), bevor sie zum Rundfunk der DDR ging, also dem so ziemlich einzigen staatsnahen Bereich in der DDR, wo es nicht völlig doof zuging. Dort lernte sie Rainer Schwochow kennen, der nach einer gescheiterten Republikflucht zwar nicht wie üblich inhaftiert wurde, aber einige Jahre „Bewährung in der Praxis“ als Hilfsarbeiter absolvieren musste, ehe er ebenfalls beim Rundfunk unterkriechen konnte. Die beiden, die abtrünnige Funktionärin und der reuige Sünder, heirateten und gründeten eine Familie. Ihr Sohn Christian Schwochow verfilmt jetzt ihre Drehbücher.
Was für eine Familienverstrickung! Das ist ja klar, was dabei rauskommt! (Wenn meine Frau, in der DDR Ausreisekandidatin, und ich, damals Elitestudent, unsere Erinnerungen zusammenpacken wollten, da würde eine ähnliche Klischeesoße rauskommen, halt der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle irgendwie einigen können).
Was das Stilistische betrifft, orientiert sich „Bornholmer Straße“ natürlich an „Feuerwehrball“ von Milos Forman, der damit 1967 die Form vorgab, mit der man den realen Sozialismus am besten parodiert. Ja, eigentlich ist „Bornholmer Straße“ ein „Feuerwehrball“-Remake, nur ohne das anarchische Element, ohne Biss und ohne eine irgendwie lebendige Bevölkerung. Im Gegenteil: Bei den Schwochows sind die Ossis alle lieb, angepasst und doof, wie es sich gehört. Da mag ja ein Stückchen Wahrheit dran sein. Schön ist es nicht.

... und wenn Christian Schwochow mal Lust haben sollte, einen tatsächlich spannenden Film zu drehen, dann könnte er doch das Leben seiner Eltern verfilmen.

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Ich kenne Heide Schwochow ein bisschen und weiß daher, dass die beiden nicht so angepasst waren, wie Sie sie hier darstellen. Die Art und Weise, wie Sie giften, wirkt hingegen sehr ostig auf mich.

Nachtrag: Meines Wissens war Rainer Schwochow im Knast. Auch lief der berufliche Werdegang von ihr und ihm nicht so wie Sie es - absichtlich? - verkürzt wiedergeben. Der Ausreiseantrag der Familie wurde übrigens am 9. November 1989 genehmigt.

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Mit "ostig" haben Sie sicher Recht - ich habe beim Schreiben gar nicht gemerkt, wie nörgelig und aggressiv ich bin - da lagert offenbar einiges Gift in mir, wenn ich über Ost-Themen schreibe. Z. B. einfach anzunehmen, dass Rainer Schwochow die übliche Gefängnisstrafe einfach erlassen wurde, nur weil sie in seiner 3-Zeilen-Biografie im Internet keine Erwähnung findet, das ist schon böswillig.
Überhaupt weiß ich über die Familie Schwochow nicht mehr, als hier und da im Internet steht. Ich hab da nicht gekürzt, sondern weiß wirklich nicht mehr, hab nur versucht, mir auf das Wenige einen Reim zu machen.
Was ich eigentlich sagen wollte: Schon von dem ganz Wenigen, was ich über die Schwochows weiß, fällt doch auf, dass das eine ganz ungewöhnliche, geradezu verrückte Familiengeschichte sein muss (und die von Ihnen erwähnte Ausreisegenehmigung am 9.11.89 setzt dem ja noch die Krone auf -das ist ja filmreif!), die geradezu im Gegensatz steht zur Gefälligkeit von "Bornholmer Straße". (Noch mehr fiel mir das übrigens bei "Novemberkind" auf, den ich vor ein paar Jahren sah und den ich insgesamt besser fand - umso mehr störte mich auch da die Neigung zur Trivialität.)
Ich gebe auch zu: Durch meinen aggressiven Ton musste es so klingen, als würde ich Christian Schwochow empfehlen, seine Eltern irgendwie als systemkonform zu entlarven. Alles andere als das war mein Anliegen: Solche Entlarvungsgeschichten sind doch erst recht glatt und langweilig und wir haben schon genug von ihnen gehört.
Vielleicht ist es einfach, dass ich die Geschichte von der Bornholmer Straße schon zu oft gehört habe. Und wie auch immer es bei den Schwochows gewesen ist: Sie müssen wissen, dass die echten Geschichten uneindeutiger, skurriler, spannender sind. Vermutlich auch ihre eigene.

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Es hat mich etwas irritiert, da es sonst nicht so Ihre Art ist.

Es gibt inzwischen schon einiges über die Familie Schwochow im Internet zu lesen, ich habe Ihnen mal ein paar Artikel zusammen getragen: Focus (in einer kurzen Passage erzählt Rainer Schwochow von der Haft), Neues Deutschland, Berliner Zeitung, Deutschlandradio Kultur, Tagesspiegel, FAZ, Welt und nochmals Welt.

Manches wiederholt sich logischerweise, aber es gibt auch immer einmal ein paar neue Aspekte.

Was den Film Bornholmer Straße angeht, so gab es auch ein paar Stellen, wo ich mich fragte, was das jetzt soll (diese "Wunderheilung" durch den Botschafter Mozambiques, beispielsweise, war völlig überflüssig). Mitunter war mir das auch einfach zu sehr "neue deutsche Komödie". Ich weiß aber auch nicht, wie man die Geschichte hätte sonst erzählen sollen. Die Kritik war auch sehr geteilter Meinung: Berliner Zeitung, FAZ, Focus, Süddeutsche, taz und Welt. Hier noch ein Interview mit Heide und Rainer Schwochow zum Film in der tz sowie ein Podcast vom Verband Deutscher Drehbuchautoren mit Heide Schwochow über den Film Westen, das Drehbuch gibt es dort auch zum Herunterladen.

In Anbetracht der Tatsache, dass Nico Hofmann den Film produziert hat, muss man jedoch froh sein, dass weder Veronica Ferres mitspielte noch die Liebesgeschichte zwischen dem jungen Grenzsoldaten und dem Mädchen ausgewalzt wurde.

Ich habe bisher nur Novemberkind und Der Turm gesehen, Westen habe ich im Kino verpasst, Die Unsichtbare hat mich vom Sujet und der Figurenkonstellation (junge Frau, älterer Mann) nicht so interessiert (das ging mir schon bei Novemberkind etwas auf den Keks, aber die Story beruht auf einer wahren Geschichte). Ich kenne aber etliche ihrer Arbeiten für den Hörfunk, und die sind großartig. Ganz besonders empfehlen kann ich Ihnen Großmutter Anna über ihre Großmutter mütterlicherseits, die - wie Heide Schwochow herausfand - zu den Opfern der "T4-Aktion" gehörte, und Das Milliardenspiel über den Verkauf der Bundesdruckerei (davon habe ich leider keinen Mitschnitt).

Nachtrag: Ich höre gerade diesen Podcast, ist sehr interessant.

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Danke für das viele Material, da hab ich ja einiges zu lesen. Besonders auf das Drehbuch freue ich mich, das ich mir als nächste Lektüre vorgenommen habe. Und dann auch noch einen Film über den NSU in Angriff zu nehmen - sehr mutig. auch da bin ich gespannt. Auf jeden Fall immer schön, wenn ein ganzes neues Wissensgebiet zusammenkommt ... wird sicher hier wieder Thema werden - und dann etwas fundierter.

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Gern geschehen. Ich versuche, mir die Lektüre des Drehbuchs noch zu verkneifen, bis ich den Film gesehen habe. Bevor Sie es lesen, hören Sie sich unbedingt den Podcast an, das lohnt sich. Es geht darin nicht nur um den Film Westen. Dass sie sich als nächstes die Bundesrepublik als Stoff vornehmen will, erzählt sie darin auch.

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