Donnerstag, 29. März 2012
Genossenschaftliches Bauen – einst und jetzt
Ich wohne mit Frau und Kind in drei 1907 gebauten Zimmern auf 67m², recht beengt für heutige Verhältnisse; vor allem fehlt uns ein Wohnbereich fürs Fernsehen, Ausspannen, Freunde empfangen. Was als Wohnzimmer gedacht war, wird von meinem Computerarbeitsplatz, von Bücherregalen und oft auch vom Wäscheständer dominiert, die Familienmahlzeiten finden in der engen Küche statt, die Ausspannzeiten zu dritt auf dem Ehebett. Meine Frau nerven auch der völlig asymmetrische Wohnungsgrundriss (ich find ihn eher lustig) und das dreieckig irgendwo dazwischengequetschte Bad.
Das große Plus, das sind die Fensterausblicke. (hier der von Zeitnehmer, der einige Jahre lang gleich um die Ecke gewohnt hat). Denn unsere Wohnanlage ist ein sympathisches Projekt aus einer sympathischen Zeit: das Vorzeigeprojekt einer Wohnungsgenossenschaft, die hier versuchte, das bürgerliche Gartenstadtmodell auf ihr Handwerker- und Arbeiter-Klientel herunterzubrechen – verwinkelte, billig gebaute Wohnungen, aber großzügige Fassaden, dörflich anmutende Straßenkreuzungen und idyllische Höfe – ein Musterbeispiel für ein architektonisch unsauberes, aber umso menschenfreundlicheres Bauen.
Als nun gegenüber zwei Häuser abbrannten und ein Neubau geplant wurde, witterten wir unsere Chance: ein moderner Neubau hinter historischer Fassade, direkt am schönsten der Höfe gelegen – und größer sollten die Wohnungen auch sein.

Aber es war wohl nichts mit „Chance“ – was heutzutage großzügiges Bauen und Vorzeigeobjekt einer Wohnungsgenossenschaft ist, das eignet sich nicht für kleinbürgerliche Mieter wie uns. Erstens richtet sich der Mietpreis offenbar an eine andere Einkommensgruppe, als hier im Viertel normalerweise wohnt: 1200 kalt soll die kleinste, die 3-Zimmer-Wohnung, kosten. Und eine Familienwohnung ist die nun auch gerade nicht: ein riesiges Wohnzimmer quer durchs Haus, mit Blick auf den Vorgarten an der Straße, und hinten eine schöne Terrasse, dazu zwei kleine Zimmer. Da kriegen wir weder meinen Computerarbeitsplatz noch den Schreibtisch meiner Frau unter, wenn noch ein Kinderzimmer bleiben soll. Und Kinder- und Schlafzimmer sind auch nicht größer als jetzt bei uns gegenüber für den halben Preis. Als ich den Grundriss sah, hatte ich den Gedanken: Das ist doch eine Wohnung für ein kinderloses Doppelverdienerpärchen! Die können sich die Wohnung leisten, das Zimmerchen hinter dem Schlafzimmer richten sie je nach Freizeitvorliebe als Bibliothek oder Gästezimmer ein – oder sie gestalten das gleich als „Zimmer für ihn“ und „Zimmer für sie“ („A room of one`s own“), und die vielen freien Abende verbringen sie mit Freunden im großen Wohnzimmer vor dem Flachbildfernseher ...
Nein, ich will nicht ungerecht sein gegen unsere Genossenschaft: Sie hat uns ja schon zweimal das für uns Passende, das uns Zustehende angeboten: schöne 4-Zimmer-Wohnungen für zweihundert Euro weniger als dieses Snob-Teil und auch genügend Quadratmetern, mit Trockenboden und Fahrradkeller im Haus, wie man es sich wünscht. Nur eben in einem dieser quadratisch-praktisch-guten Backsteinblöcke der dreißiger bis fünfziger Jahre. Meine Frau hat sich sogar geweigert, die Wohnungen überhaupt zu besichtigen: „In der Straße will ich nicht wohnen.“ Recht hat sie!
Und so bleiben wir halt wohnen in unserem Altbau von 1907, dem Haus aus der Zeit, als man sich noch bemühte, ästhetisch ansprechendes Wohnen auch für Menschen zu ermöglichen, die sich das eigentlich nicht leisten können.

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Das ist doch eine Wohnung für ein kinderloses Doppelverdienerpärchen! (...) „Zimmer für ihn“ und „Zimmer für sie“ („A room of one`s own“), und die vielen freien Abende verbringen sie mit Freunden im großen Wohnzimmer vor dem Flachbildfernseher...

Wieso fühle ich mich jetzt irgendwie - hm... - angesprochen? Denn genau so leben wir. Kinderlos, doppelt verdienend, jeder ein eigenes Zimmer, Freunde und Flachbildfernseher. Dennoch würde ich nicht in solch einer Schicki-Micki-Kiste leben und leisten könnte ich es mir auch nicht. Und die Abende sind dann übrigens noch das einzige, was wirklich halbwegs frei ist (zwischen Bügelbrett, Wäscheständer, Kloputzen, Gartenarbeit, Staubsaugen etcetera - ja, auch DINKs haben Hausarbeit, nicht alle können sich von ihrem "fett" verdienten eine Putzfrau leisten). Vielleicht gibt es ja auch noch Menschen irgendwo/irgendwie dazwischen...?

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Gut, dass Sie es ansprechen - sowohl dass auch in DINK-Haushalten Wäscheständer umherstehen als auch dass Sie nicht in einer solchen Wohnung würden wohnen wollen - man kommt zu leicht in so Neidgedanken rein, die keinen Sinn ergeben. Natürlich kommt es nicht auf das Modell an, das man lebt - sondern: wie man es lebt ...

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Bei Singles stehen die Wäscheständer übrigens auch und zwar genauso im Weg herum.

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Kinderlos ...
... mit zwei Einkommen kann auch so aussehen: Sie im Ruhestand. Er arbeitet Teilzeit - freiwillig unter 100% - aber über 75%.

Und 1200 Euro kalt für eine wie bei Ihnen beschriebene Wohnung? Nicht freiwillig. Haben Sie mal gesehen, wie oft die Balkone dieser teuren Wohnungen auch genutzt werden? Eingerichtet und oft leer. Sehen die Menschen dort glücklich aus? Oder wenigstens zufrieden?

Und und das mit den kinderlosen Doppelverdienern. Wissen Sie wie viele Pärchen es gibt, die wollen, aber es klappt nicht? Die wollen und es geht aus anderen Gründen nicht? Die wollen, aber nicht in diese Welt? Die nicht wollen, weil sie keine Kinder mögen? Die nicht wollen, weil sie glauben keine guten Eltern sein zu können? Die wollen, aber .... was für Gründe es immer noch sonst so geben mag?

Wie würde wohl eine kinderlose Frau, Mann arbeitet (verdient ausreichend für beide) und sie bleibt freiwillig zuhause trotz sagen wir mal einem abgeschlossen Studium in unseren heutigen Zeiten beurteilt? Was würden Sie über eine solche Frau denken?

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Wenn Sie so fragen (so negativ formuliert), dann hab ich für diese Frau wirklich kein Verständnis. Wenn der eine für beide arbeitet und der der andere gar nichts tut, das ist nicht gut. Das ist sogar mit Kindern so: Ich kenne eine Familie (mit einem Kind), wo er im Prinzip das Geld verdient für die Familie, sie nur ein bisschen jobbt, und bei den beiden ist die Sache schon schwierig mit dem Halten der Balance (da beide recht leistungsorientiert denken), und es ist ihnen sehr wichtig, dass ihre Jobs, wenig auch manchmal wenig Geld bringend, so doch immer inhaltlich gewichtig sind. Andererseits: Keine Frau sitzt "nichtstuend" zu Hause (sie würde dann in Kürze depressiv) - ich kann mir mancherlei guten Lebensinhalt denken, der seinen Brotjob aufwiegt und die Partnerschaft ausbalanciert.
... meine Aggression oben ging auch weniger gegen bestimmte Lebensmodelle als gegen eine Architektur, die kaum unterschiedliche Nutzungen möglich macht.

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Ich sagte ja mit keinem Wort, dass diese Frau nichts tut, sondern nur, dass sie freiwillig nicht arbeiten geht.

Und genau das kritisiere ich immer wieder: Sie tut dann nichts - so wird angenommen. Genau diese Worte höre ich so oder so ähnlich auch immer wieder.

Es wird angenommen: Wenn eine Frau (oder ein Mann) freiwillig zu Hause bleibt (ohne sich um ein Kind zu kümmern) tut sie/er nichts.

Ob das wirklich so ist, wird nicht gefragt. Es wird auch nicht gefragt, warum sie zu Hause bleibt. Ebenso wird unterstellt nur die Ausübung eines Berufes und/oder das Aufziehen von Kindern sei sinnstiftend.

Hier kommt dann die Frage ins Spiel "Wann wird was als Arbeit (und damit als nützlich) angesehen und wann nicht?"

Was Ihre beschriebene Architektur angeht, so wird diese doch nachgefragt oder mindestens angenommen. Und wer sie mag und sich leisten will: Fein, ich wünsche diesen Menschen, dass sie ihre Lebensumstände auch genießen können und zu schätzen wissen.

Ihnen wünsche ich, dass Sie eine für sich geeignete Wohnung zum fairen Preis finden.

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... die geeignete Wohnung zum fairen Preis haben wir nun schon ein Jahr, sogar einfach schräg gegenüber. Daher sah ich neulich die Mieter der besagten Wohnung im Garten: ein Ehepaar mit zwei kleineren Kindern. Und ich fragte mich, wie die das anstellen: Im Moment mag es angehen, man kann zwei kleine Kinder in ein 12m²-Zimmer stopfen, wenn das Wohnzimmer geräumig ist und niemand dort Home office machen muss. Aber lass die mal 8 Jahre älter werden. Dann wird von ganz allein die nächstteurere Wohnung fällig ...

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