Montag, 9. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 1
Lehrer an einer Privatschule, das wärs. Das hatte ich mir so ausgemalt als Student. Ich hatte mich aus der zusammenbrechenden DDR in das Paradies einer westdeutschen Uni gerettet, von da aus mit Schadenfreude dem Untergang meiner kleinlichen Spießerheimat zugesehen und mich währenddessen ausgiebig mit den herrlich nutzlosen Dingen beschäftigt, die man „Geisteswissenschaften“ nennt. Als es dann ans Geldverdienen ging, war ich voller Verachtung für Beamte und andere Träger einer staatsloyalen Gesinnung und beschloss, an eine Privatschule zu gehen, Da verdienst du dein Geld, sagte ich mir, indem du den feinen Kindern besondere Sachen beibringst – und die Begriffe „Max Frisch“ und „Inhaltsangabe“ kannst du getrost vergessen.
Weit gefehlt. Auch Privatschüler lernen das Übliche – und Schüchternheit als Waffe, das funktioniert nicht für einen Lehrer vor einer sechsten Klasse. Natürlich kann man punkten im Vorstellungsgespräch, vor der Direktorin einer Privatschule, die den zahlenden Eltern einen kultivierten und gebildeten Deutschlehrer präsentieren muss. Aber es genügt nicht, einen Job zu bekommen, man muss ihn auch ausfüllen. Und das konnte ich nicht.
Die ersten zehn Minuten in der sechsten Klasse gingen immer noch, es gab ja ein festgelegtes Ritual: „Guten Tag!“, setzen und die Hefte raus zur Hausaufgabenkontrolle. Dann begannen die Scharmützel. Ich nutzte mein Sanktionen-Arsenal, um die Klasse ruhig zu halten. Öfter gelang das auch, nur Unterricht fand nicht statt. Wer interessiert sich auch schon für Fabeln?
Da war es doch viel schöner bei den Kleinen, den Grundschülern, wo Detektive durch Geheimgänge schlichen und Rechtschreibfehler ausgiebig bekichert wurden. Die Kleinen liebten mich. Leider galt das nicht für ihre Eltern. Die wollten abprüfbare Lernfortschritte sehen, ein Diktat in der Woche war nicht genug. Dabei gab es Lernfortschritte: bei mir, dem Lehrer. Schon nach zwei Monaten brachte ich alle Schüler immer ordnungsgemäß nach unten zum Schulschluss, zu ihren wartenden Eltern, mit einer Hausaufgabe im Hausaufgabenheft, ohne vergessene Mützen und Schultaschen und alle Stühle auf dem Tisch.
Nach vier Monaten zog die Direktorin die Notbremse, wie sie es selbst formulierte im Entlassungsgespräch. Neben ihr nickte bedächtig der Vorsitzende des Schulvereins, ein kühler Mensch im feinen Anzug und Vater von einem der wilden Sechstklässler. Man beließ mir die Abiturklasse, deren Schülerrat sich für mich ausgesprochen hatte, und versah mich mit einer angemessenen Abfindung. Damit beginnt die Geschichte.

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