Mittwoch, 22. Oktober 2025
Streit um das Potsdamer Stadtbild
In Potsdam gibt es seit Jahren Steit um das Stadtbild, den Abriss symbolträchtiger DDR-Bauten sowie den Wiederaufbau verlorener feudaler Architektur. Gestern traf ich (eigentlich auf der Suche nach etwas anderem) auf einen Artikel der Frankfurter Rundschau dazu aus dem Jahr 2019, der meines Erachtens zeigt, inwiefern die Frontlinien der Auseinandersetzung schief liegen.

Der Autor Thomas Leinkauf plädiert darin für den Erhalt von Bauten der „sozialistischen Moderne“, wie er es nennt: das Interhotel und die Fachhochschule, 2 Bauten, die das Aussehen der Innenstadt deutlich prägen. Er verweist kritisch auf Ludger Brands, einen aus Münster stammenden Potsdamer Professor, der anderer Meinung ist: „Das Dilemma der Moderne, sagt er, sei, nur einzelne, autonome Gebäude gedacht zu haben, nicht aber ganze Stadträume, Stadtzusammenhänge. Nicht der Krieg, sondern diese Autonomie habe letztlich unsere Städte kaputtgemacht. So sei das auch in der Potsdamer Altstadt.“

Da konfrontiert sich also ein eher linker Ossi, der die Moderne liebt, mit einem eher konservativen Wessi, der sie hasst. Aber ist das überhaupt Moderne? Moderne, wie ich sie kenne und durchaus verehre, ist das Neue Bauen der vorigen 20er Jahre, und das hat sehr wohl in Stadträumen, Stadtzusammenhängen gedacht, wie ich hier schon geschildert habe, ja, es hat sich von der vorherigen historistischen Epoche gerade dadurch abgegrenzt, dass es diese Zusammenhänge höher wertete als die Schönheit des Einzelgebäudes. Zu sehen zum Beispiel hier in Altona (rechts oben neben dem Park), wo ein notwendiger riesiger Schulbau 1930 mit einigem architektonischen Aufwand in das historische Stadtbild eingepasst wurde.

Was der Professor im Blick hat, das ist der Brutalismus der Nachkriegsmoderne, ein (überwiegend westliches) Phänomen der Nachkriegszeit, als man mit einem „Hoppla, jetzt kommen wir!“ die Vergangenheit vergessen wollte, etwa indem man in Hamburg (Ost-West-Straße) und Bremen (Martinistraße) breite Autotrassen quer durch die bombenzerstörten Innenstädte zog und so deren Wiederbelebung architektonisch unmöglich machte.

Aber das in Potsdam, das Leinkauf als sozialistische Moderne feiert und Brands als geschichtsvergessene Moderne ablehnt, das ist noch etwas anderes. Das ist eben nicht rücksichtslos oder gar geschichtsvergessen wie die Ost-West-Straße: Es ist auf boshafte Weise sehr geschichtsbewusst. Die Fachhochschule und das Interhotel setzen die Markenzeichen für die DDR ganz bewusst so, dass sie historische Stadträume zerstören. Das Interhotel besetzt genau den Platz, den früher der Lustgarten des Stadtschlosses innehatte, die Fachhochschule mauert die Nikolaikirche völlig ein.

Das ist weder sozialistisch noch modern. Denn der Sozialismus und das Neue Bauen zielten auf ein gleichberechtigtes, harmonisches Miteinander der Menschen. Auch daran hätte ich übrigens etwas zu kritisieren, aber das steht auf einem anderen Blatt. Und vor allem hat es nichts zu tun mit dem Potsdamer Architekturstreit, in dem ideologisierte Gruppen ihre Marken für ihre jeweilige Klientel setzen (oder erhalten) wollen.

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Donnerstag, 16. Oktober 2025
Ein Bild des Alters
Ich bin heute am Museum vorbeigekommen, da war eine Sonderausstellung zu den Tatorten der NSU-Verbrechen plakatiert, und da ich Zeit hatte, ging ich rein.

Im Vorsaal empfing mich zuerst ein großes Ölbild vom Lessingtunnel, der zu meiner täglichen Umgebung gehört. Gemalt von Robert Schneider – sympathische Malweise, aber etwas langweilig. Ich wollte mich schon abwenden, da fiel mir dieses große blaue Verkehrsschild auf, der Pfeil, der einen hineinweist in den Tunnel. Aha, dachte ich, so wirds dann demnächst reingehen in das „Alter“ genannte Lebensalter: Der Lauf der Dinge sagt einem „Hier entlang!“ und „Rein in den Tunnel!“ Selbiger ist zwar durch die Errungenschaften es Industriezeitalters einigermaßen solide abgestützt und korrekt beleuchtet, aber trotzdem düster, und zum Ende hin wirds immer enger. Erst ganz am Schluss tritt man wieder ins Freie, aber nur um vor der endgültigen roten Ampel zu stehen. Es gibt da zwar noch einen kleinen Pfeil nach rechts, wahrscheinlich als Trost für die, die an ein Jenseits glauben. Aber als täglicher Nutzer dieser Verkehrssituation weiß ich genau: Da kannst du dich nicht einfach nach rechts wegschummeln – rote Ampel bleibt rote Ampel.

Dass ich mit meiner Interpretation Recht habe, erwies sich übrigens, als ich weiterging und bemerkte, dass genau gegenüber eine Reihe von Fotoportraits von Hospiz-Bewohnern hing. Aber wie dem auch sei - es ist mir immer eine Freude, wenn sich ein Kunstwerk bei näherer Betrachtung dann tatsächlich als anregend erweist.

Die Fotoausstellung zu den NSU-Tatorten war dann nicht so schön – mehr so im westdeutschen 68er StiL. Die Fotos waren schwarz-weiß und menschenleer, aus dilettantisch wirkenden schiefen Blickwinkeln, also bewusst kunstlos wie Schnappschüsse, dann aber in riesigen Formaten ohne Abstand (und ohne Beschriftungen) als langes Band auf schwarze Wände gehängt im fensterlosen Raum. Sodass der Eindruck entstand: Wie hässlich ist dieses Deutschland!

Ohne konkret zu fragen, was da eigentlich so hässlich ist und warum. Beispielsweise weil die Mördern nach dem internationalen Schlachtruf der Rechten „Krieg den Hütten! Friede den Palästen!“ gehandelt und grundsätzlich in ärmeren Gegenden gemordet haben. Von den vielen anderen Fragen und Fragwürdigkeiten rings um den NSU mal ganz abgesehen.

… als die Schau in Nürnberg war, haben sie das Band ja wenigstens auf Hellgrau platziert ...

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Samstag, 27. September 2025
Wie damals in Studentenzeiten ...
... mag ich understatement und altmodische Dinge. So wie mir Handygeknipse für Fotos völlig ausreicht, wenn es um kurze Skizzierung der Erinnerung halber geht, so mag ich alte Möbel, die einfach so hergeflogen kommen.



Den Stuhl links bekam ich vor einem Jahr von einer Kollegin geschenkt, mit der ganz richtigen Bemerkung: "Du magst doch solche Dinger." Sie hatte ihn ihrerseits geschenkt bekommen, aus ausrangiertem Schulmobiliar, und ich benutze ihn seitdem als Schreibtischstuhl.
Und jetzt geh ich abends mit meiner Frau spazieren und da steht der Stuhl, den Sie rechts sehen. Nochmal eine Steigerung!
Während der linke Stuhl zwar das schöne, gemütliche, alte Holzdesign hat, mit seiner ungelenken Optik und der giftgrünen Sitzfläche aber auch ein bisschen spießig und studienratsmäßig aussieht, hat der andere trotz konservativer Bürohaftigkeit doch noch ganz die Eleganz der klassischen Moderne. Und viel bequemer Sitzen tut er sich auch. Ich werd ihn heute Abend putzen und ein bisschen möbelpolieren und freue mich auf schöne Jahre mit ihm.

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Samstag, 16. August 2025
Ein Buchumschlag sagt mehr als 1000 Worte
- jedenfalls, wenn er gut gemacht ist. Eine Freundin hatte das Buch meiner Frau in die Hand gedrückt. Ich sah es da rumliegen und war vom Buchumschlag zuerst abgestoßen, das Cover sagte deutlich: Achtung, das hier ist Trash.





Ich war irritiert – die Feuilletons hatten doch geschrieben, das sei ein ernst zu nehmendes Buch über die Familie Henselmann. Ich blätterte rum, sah, dass die berühmte Kat Menschik den Umschlag gestaltet hat, und ja, das war schon gut gemacht, wie da Hollywood-Kitsch mit realsozialistischer Architektur kombiniert wird, das Haus an der Weberwiese zentral auf dem Buchrücken und am Himmel der Buchtitel wie eine Leuchtreklame und die drei Portraits wie auf dem Mount Rushmore, man sieht förmlich die Agenten auf ihren Nasen herumklettern.

Ich fing an zu lesen, legte das Buch aber nach 30 Seiten weg: Die flott und plakativ geschriebene Promi-Geschichte sagte mir gar nichts. Meine Frau aber raste durch das Buch durch, sie erzählte mir die ganze Geschichte, las mir sogar Stellen vor – sie war entsetzt von der Geschichte, ich eher angewidert. Über die Stasi-Geschichte der Henselmanntochter Isa sprachen wir länger, die stimmte hinten und vorne nicht, wie sie da aufgeschrieben war, und auch als weibliche Emanzipationsgeschichte konnte das nicht so richtig durchgehen, der große Papa schwebte ja doch über allem.

Man nennt das wohl Triggern, wie meine Frau von diesem Buch aufgeregt wird und wie es mich wütend macht. Ich konnte ihr meine Wut erst verständlich machen, als mir einfiel, warum sie doch die erste sein müsste, die dieses Buch verabscheut: „In den Jahren, als du in der DDR nicht studieren durftest, hat die Autorin Journalismus studiert, in Leipzig, am Roten Kloster.“

Wie dem auch sei: Der Buchumschlag von „Die Allee“ hat Recht, nehmen Sie die Warnung ernst!

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Mittwoch, 23. Juli 2025
Die Zusammenfassung meiner Zeitungslektüre …
… hätte ich früher in mein Tagebuch geschrieben. Das gibts aber nicht mehr, also schreib ich hier über die tagespolitischen Aufregungen– hat vielleicht den Vorteil, dass regelmäßige Spiegel-Leser (zu denen ich nicht gehöre), die sicher besser Bescheid wissen, in den Kommentaren berichtigen oder ergänzen können.

Also, ich hab erfahren, dass das eigentlich schon letztes Jahr losging. Da war es eine leitende Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, die es traf. Ich kannte sie nicht und hab mal nachgegoogelt, da wurde schon klar, was das für ein Typ war: Kein Akteur der ersten Reihe, mit männlichem Geschlecht und Studium an einer amerikanischen Elite-Uni, aber eine kluge, fleißige, effiziente Arbeiterin mit einem enormen Output an qualitätvollen Texten. Wir bei uns in der Firma haben auch so eine: Neben der Abteilungsleiterin, die auch das Standing hat, Abteilungsleiterin zu sein (wenn auch nicht immer das nötige Fingerspitzengefühl), steht sie als zweite Person der Abteilung. Sie hat was Fachfremdes studiert, aber sie ist eine, die alles kann, alles macht, alles mitmacht – klug, produktiv, kreativ, loyal – ohne sie würde nichts laufen. So jemanden braucht man immer und sollte es mal schieflaufen, ist die Person das ideale Opfer.

So auch die besagte Redakteurin. Sie schrieb unheimlich viel, immer waren die jeweils gefragten Artikel in der nötigen Qualität rechtzeitig da. Eigentlich kaum schaffbar. Und es fand dann auch ein medienkritisches Publikationsorgan den Haken: Sie hat schon ziemlich viel einfach nochmal geschrieben, was andere längst geschrieben hatten, manchmal sogar ganze Sätze ungefragt übernommen – nie so stark, dass man vom Stehlen geistigen Eigentums sprechen könnte, aber schon so, dass es manchmal ein Geschmäckle hatte, so im Sinne von Reproduktion bekannter Inhalte, Produktion heißer Luft.

Julian Reichelt freute sich über diese Recherche anderer Leute über die ihm verhasste Süddeutsche Zeitung und baute über seine Seite „Nius“ daraus eine Medienkampagne gegen die Redakteurin. Er nahm noch den Plagiatsjäger Weber hinzu, sowas kommt ja medial auch immer gut. Es endete damit, dass die Betroffene irgendwo unterkühlt und ko von der Polizei aufgegriffen wurde, vielleicht war es ein Suizidversuch.

Und weil es so gut geklappt hat, probiert er es jetzt eine Etage höher, nicht bei der vierten Gewalt, sondern schon bei einer der drei ersten. Wieder mit der bewährten Methode, diesmal ist Reichelt gleich selbst auf X aktiv geworden, um dann wieder zurück in seine Rolle als „Nius“ zu schlüpfen und sich selbst in zahlreichen Artikeln zu bestätigen: Es sei ein Skandal, dass die SPD eine Verfassungsrichter-Kandidatin aufstellt, deren Positionen sich nicht durchweg rechts der Mitte lokalisieren lassen und die insbesondere als AfD-kritisch aufgefallen ist.
Plagiatsjäger Weber wurde auch wieder angeheuert, und als das Getöse laut genug war, sprangen auch Bild und Welt auf und endlich Teile der CDU-Fraktion im Bundestag.

Und sollte selbst das nicht genügen, wird vorsichtshalber auch die zweite SPD-Kandidatin angegriffen: „Frau“ und „SPD“ müsste ja allein schon genügen als Argument - und dann hatte sie auch schon mal was mit „Klima“ zu tun.

So, habe ich das nun richtig zusammengefasst oder hab ich mich wieder von der Hitze der Debatte hysterisieren lassen?

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Montag, 23. Juni 2025
Geopolitik aus der Froschperspektive
Die großen Kinder spielen mal wieder mit ihren Bomben, und das lächerliche Spiel dieser Jammergestalten könnte uns egal sein, würden sie die Dinger nicht in regelmäßigen Abständen auf die Menschheit niederfallen lassen.

Wenn man von dieser Niedertracht absieht, könnte einem Netanjahu richtig leid tun: Jahrelang konnte er sich auf seine Partner von der Hamas verlassen, die ihm regelmäßig ein paar Raketen über den Zaun schossen, mit denen er seine rassistische Politik legitimieren konnte. Dann aber wurden sie wild und griffen sein Land brutal an.

Das schien Netanjahu im ersten Augenblick nicht das Schlechteste, denn er konnte nun einen triumphalen militärischen Siegeszug durch Gaza inszenieren und so ganz gut von dem Landraub im Westjordanland, der Dekonstruktion der Gewaltenteilung in Israel und nicht zuletzt von seinen persönlichen Konflikten mit den Ermittlungsbehörden ablenken.

Und auch die Hamas war zufrieden, hatten sie doch die humanitäre Katastrophe in Gaza sehnlichst erhofft, die ihnen Netanjahu frei Haus lieferte – sie sicherte der Organisation das politische Überleben.

Ewig geht das aber dennoch nicht gut: Man kann nicht jahrelang hungernde Flüchtlinge hin und her durch ein Trümmerfeld jagen und behaupten, das sei ein erbitterter Krieg gegen übermächtige Feinde, die dem Staat Israel nach dem Leben trachten. Und wiederholte Bitten an den Iran, nun endlich mal einen ordentlichen Krieg anzufangen, wurden dem armen Netanjahu auch abgelehnt – man sah sich in Teheran finanziell dazu nicht in der Lage und wollte lieber bei der herkömmlichen kostengünstigen Variante bleiben und informell über Hisbollah, Revolutionsgarden und Huthi-Rebellen ein bisschen herumstänkern, das schaffe Unruhe genug, um die von allen benötigte Instabilität in der Region aufrecht zu erhalten. Auf dass jeder dieser Idioten sich alle Optionen offen halten und weiter seiner tödlichen Spielsucht frönen kann.

Und außerdem hatte die Hamas noch ein paar propagandistische Trümpfe in der Hand und konnte ziemlich erfolgreich ein paar Verschwörungstheorien etablieren.

Da half es nun alles nichts mehr und Netanjahu musste eben einfach selbstständig einen neuen Krieg beginnen – sehr zum Leidwesen des Irans, dessen Führung mit Putin den Irrtum geteilt hatte, die ständige Drohung mit der Atombombe würde auf alle Zeiten die Gegner kleinhalten.

Nach wie vor der schwächste Player in diesem hässlichen Spiel bleibt dabei der amerikanische Präsidentendarsteller, der so gern den großen Max markieren würde, aber egal ob vor Putin oder vor Netanjahu sofort kuscht, wenn die ihm mal deutlich sagen, was zu lassen und was zu tun ist.

Man könnte lachen über all die Jammerlappen, wenn es nicht zum Weinen wäre.

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Sonntag, 15. Juni 2025
Ich werde alt, mir leuchten nichtmal mehr die Klischees ein:



Wie kann man einen Bio-Kräutertee "Bremer Werftküche - Deichgold" nennen?
Ich assoziiere dazu Altöl und Schwermetalle. Vielleicht noch mageres, trockenes Gras. Was sonst kann man auf dem Deich hinter der Werftküche ernten?

Sind Regionalität und Heimatgefühle heutzutage schon so gründlich von jeder negativen Assoziation, von jedem Bezug zur Wirklichkeit gereinigt, dass die Käufer sich daran nicht stören?

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Montag, 9. Juni 2025
Gedanken über Warnschüsse
Ältere Ossis unter uns (falls es welche gibt) erinnern sich vielleicht noch an die Seite 2 im „Neuen Deutschland“, als es noch das „Zentralorgan“ war. Da gab es immer die Innenpolitik und da gab es manchmal bemerkenswerte Meldungen, zum Beispiel unter der Überschrift „Behauptungen westlicher Medien über xyz entsprechen nicht der Wahrheit“. Wer dann die westlichen Medien nicht konsumiert hatte, der erfuhr nichts, er bekam nur demonstriert: Du erfährst nichts, und das ist auch gut so.

Ein anderes Mal hieß es: „Im Zuge der Verfolgung eines Straftäters wurden im Bereich des des Hermsdorfer Autobahnkreuzes durch Angehörige der Sowjetarmee Warnschüsse abgefeuert. Um die Verkehrssicherheit nicht zu gefährden, wurde das Autobahnkreuz gesperrt.“ Dass der Gewarnte am Ende tot war, war dem ND-Leser damit klar, dass es sich um einen desertierten Sowjetsoldaten gehandelt hatte, konnte er durch einfache Kombination erschließen. Die Rede von den Warnschüssen war also keine in Täuschungsabsicht gemachte Lüge. Sie diente dazu, dem DDR-treuen Leser eine Ausrede bereitzustellen, vielleicht sogar dazu, gleichzeitig dem russischen Besatzer rhetorisch eins auszuwischen.

Dieser Tage höre ich wieder von Warnschüssen, in Gaza, und wieder sind die Gewarnten zuverlässig tot, und kann es sich bei der Rede über Warnschüsse nicht um eine Vertuschung der Wahrheit handeln, denn die Wahrheit liegt ja offen zu Tage. Nicht anders in Charkiw, wo die Rede ist von Angriffen auf militärische Ziele, aber was dann in Flammen aufgeht, das sind Wohnblocks.

In beiden Fällen ist es kein täuschendes Lügen, es ist eine Verhöhnung der Wahrheit, die Angst und Schrecken verbreiten soll. Mit Faktenchecks dagegen angehen zu wollen wäre lächerlich.

Und in beiden Fällen begleiten die Reden ein staatlich organisiertes rassistisches Vorgehen zur Dezimierung eines Nachbarvolks. Eigentlich kein Unterschied. Außer diesem: In der Ukraine unterstützt Deutschland das angegriffene Volk. In Gaza unterstützt es die Aggressoren.

-

P.S. „Was kritzelst du denn da am Montagmorgen?“ fragt meine Frau neben mir im Bett. Ich erkläre ihr, was ich da schreibe. „Das verstehe ich nicht, was du da groß schreiben willst. Das versteht doch jeder. Das ist Krieg. Das heißt: Wir machen euch fertig!“

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Montag, 26. Mai 2025
Serhij Zhadan über Werte der Freiheit
Angesprochen auf Donald Trumps Vorschlag zu Beendigung des Ukraine-Kriegs, sagte Serhij Zhadan am 22.03.2025 in der FAZ: "Das ist zweifellos sehr demotivierend und untergräbt die Idee von Ehrlichkeit und Gerchtigkeit.Andererseits zeigen uns solche Entwicklungen, dass wir uns in der Konfrontation mit dem Aggressor in erster Linie auf uns selbst verlassen müssen. Und dass wir mit unseren europäischen und amerikanischen Verbündeten über die Werte der Freiheit sprechen müssen und nicht über den materiell motivierten Wunsch, am Unglück anderer zu verdienen."

Er spricht hier nicht nur über Trump, der den Ukrainekrieg nutzt, um sich ukrainische Bodenschätze zu sichern. Er spricht auch über europäische Verbündete, die die Ukraine erst (2022) durch großspurige Unterstützungsversprechen verleitet haben, die Verhandlungen mit dem damals noch von der Gegenwehr überraschten und vielleicht verhandlungsbereiten Russland nicht fortzuführen, denen dann aber außer Waffenlieferungen (an denen ihre Firmen verdienen) rein gar nichts eingefallen ist.

P.S. Verstehen sie mich nicht falsch: Ich bin für Waffenlieferungen an die Ukraine - natürlich, die Ukraine braucht die Waffen, wenn sie als Staat überleben will. Aber ich bin auch für eine Übergewinnsteuer für Rheinmetall. Ich bin auch dafür, die Tanker der russischen Schattenflotte zu stoppen (Putin ist da nicht so zimperlich, mit dem Festsetzen fremder Tanker, wie er uns dieser Tage demonstriert:)

https://www.n-tv.de/politik/Jan-van-Aken-erzaehlt-von-seiner-Rheinmetall-Aktie-article25759015.html

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Mittwoch, 30. April 2025
Lieblingslyriker
Als ich noch im 20. Jahrhundert lebte und tief verwurzelt war in der Betonhaftigkeit und dem Kulturpessimismus dieses Jahrhunderts, da glaubte ich, nach dem großen Brecht, da sei niemand mehr gekommen in Deutschland, der großartige Lyrik verfasst hat. Und doch liebte ich insgeheim schon Bachmann für ihre Klugheit, ihr tiefes Gefühl und hatte meine Freude an den virtuosen Spielerien von Jandl.

Erst tief im 21. Jahrhundert entdeckte ich Brinkmann und Hilbig und jetzt fällt mir auf, dass ich auch von Marie T. Martin schon mehrfach Wunderbares gelesen habe. Ich sollte mich wirklich mal darum kümmern, ob sie noch mehr davon verfasst hat. Warum entdeck ich die Lyriker immer erst, wenn ihre Zeit vorbei ist?

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