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Donnerstag, 11. Dezember 2014
Ausreise in die Mündigkeit: „Westen“ von Christian Schwochow
damals, 23:59h
Nach allem Gemecker über "Bornholmer Straße" und „Novemberkind“ habe ich nun einen richtig guten Schwochow-Film gesehen: „Westen“. Eigentlich wollte ich ja das Drehbuch lesen, da ich es so verrückt fand, dass es sowas im Netz gibt, wie arboretum verriet. Aber dann hab ich mir s doch mit einem Wein vorm Fernseher bequem gemacht.
Ästhetisch machte der Film erstmal nicht so viel her, was auf mich dann besonders stark wirkte, denn nach der Optik der ersten Minuten erwartete ich einen der üblichen DDR-Aufarbeitungsfilme und war dann umso überraschter, als ich hier in eine Geschichte verwickelt wurde, die es wirklich in sich hat.
Die Hauptfigur, Nelly, reist nach dem Tod ihres Mannes mit ihrem Sohn in den Westen aus, per Scheinheirat. Dort, im Notaufnahmelager, nimmt sie der amerikanische Geheimdienst in die Mangel, denn ihr verstorbener Mann war, wie sie nun erfährt, ein Doppelagent, und man vermutet, dass sein Tod nur fingiert war. Nelly lässt sich auf eine kurze Affäre mit dem amerikanischen Geheimdienstmann ein, wohl auch, um mehr, Genaueres zu erfahren. Aber der scheint gar nicht mehr zu wissen, warnt sie nur vor möglichen Stasi-Spitzeln in ihrem persönlichen Umfeld. Daraufhin fällt Nellys Verdacht auf Hans, einen ehemaligen DDR-Häftling, den sie im Lager kennen gelernt hat und der im Begriff ist, sich mit ihrem Sohn und ihr anzufreunden. Am Ende verlassen Nelly und ihr Sohn das Lager und damit die Zone der gegenseitigen Verdächtigungen. Sie ziehen in die Wohnung, die Hans ausfindig gemacht hat, und lassen diesen dort auch ein, als er zu Weihnachten klingelt.
In „Westen“ werden neben Deutsch zwei weitere Sprachen oft gesprochen: russisch und amerikanisches Englisch. Und tatsächlich bestimmt die Grundstruktur des Kalten Krieges auch diese Geschichte. Die Hauptfigur Nelly weiß es anfangs nur noch nicht. Sie muss erst in den „Westen“ gehen, um ihr bisheriges DDR-Leben nachträglich zu begreifen. Wie wahr!
Am Beginn ist Nelly naiv. Ihr Mann, der Russe, ist geheimnisvoll und zärtlich, und pflegt in Abständen immer wieder zu verschwinden. Nelly bewundert das. Als der Mann dann irgendwann für immer wegbleibt, hält es auch sie nicht mehr in der DDR, und prompt begegnet sie dem westlichen Spiegelbild ihres schönen Russen, dem schönen Amerikaner, einem attraktiven Schwarzen. Neben diesem wirken der westdeutsche Geheimdienstler und überhaupt die ganzen westdeutschen Lagerverwalter piefig, beinahe fies in ihrer subalternen Art. Nicht anders als die Subalternen in der DDR, die auch nicht mehr zu ertragen waren, nachdem Nelly ihren Mann, ihren Kontakt ins Internationale und nach Moskau, verloren hatte.
Das Leuchten, das erste Glücksgefühl, endlich im Westen und entronnen zu sein, vergeht schnell. Nelly und ihr Sohn Alexej schließen sich einer deutsch-russischen Familie an, die vital die Möglichkeiten des Westens nutzt. Später entsteht der Kontakt zu Hans, dem DDR-Oppositionellen, dem verkorksten Charakter, dem der Absprung aus dem Lager in die westdeutsche Wirklichkeit nicht gelingen will. Mich hat dieser Erzählstrang besonders bewegt: Denn es ist ja der kleine Alexej, der Vaterlose und Verlorene, der in dem seelisch zerstörten Hans eine gleichgesinnte Seele und einen Vaterersatz erkennt und ihn zu sich heranzieht, während die Mutter Nelly, frisch vom Rendevous mit dem Amerikaner kommend, in ihm vor allem einen Stasi-Spitzel sieht.
Am Ende kulminiert der Konflikt darin, dass die Lagerinsassen, dominiert von den Russen, Hans verprügeln und demütigen. Alexej nimmt Partei für Hans. Nelly ist sich unschlüssig.
Doch dann – die Russen sind inzwischen auch aus dem Lager ausgezogen – nimmt sie Hans‘ Vorschlag an und mietet die Wohnung, die Hans für sie gefunden hat. Es ist Weihnachten und Alexej und sie sind glücklich. Der Film endet damit, dass Hans, der mit dem deutschesten aller Namen, klingelt, und es scheint, dass ihm aufgetan wird.
In dem Interview zum Film betont die Drehbuchautorin Heide Schwochow, dass es ihr wichtig war, nicht aufzulösen, ob Hans nun ein Spitzel war oder nicht. Emotional und was die Filmlogik betrifft, ist er es nicht. Keine seiner Verhaltensweisen im Film ist auffällig verdächtig. Einzig sein Charakter, sein Gebrochensein, sei Loser-Zynismus könnten in diese Richtung deuten. Aber das ist sehr vage: Durch Diktaturen Gebrochene eignen sich gut zu Spitzeln (Sascha Anderson), vielleicht sind sie aber einfach nur gebrochen (Jürgen Fuchs). Vielleicht müssen sie sich zwischen beidem entscheiden („Der Kuss der Spinnenfrau“).
Letztendlich ruft der Film dazu auf, einen Schlussstrich zu ziehen unter die Logik des Kalten Krieges. Deutlich wird das an der ergreifenden Geschichte des Kindes. Der Kalte Krieg nahm ihm den Vater, der Kalte Krieg konfrontierte ihn mit der Verachtung durch die Westdeutschen, die Erfüllungsgehilfen der Amerikaner. Nur Hans, der mit dem einheimischen Schicksal, kann ihm ein Vater sein. Und wenn es zu diesem Schicksal gehören sollte, in Stasi-Fiesheiten verstrickt gewesen zu sein – nun, dann war es so. Das lese ich aus dem Film. Und bin nicht sicher, ob ich es unterschreibe. Aber wahrscheinlich schon.
Ästhetisch machte der Film erstmal nicht so viel her, was auf mich dann besonders stark wirkte, denn nach der Optik der ersten Minuten erwartete ich einen der üblichen DDR-Aufarbeitungsfilme und war dann umso überraschter, als ich hier in eine Geschichte verwickelt wurde, die es wirklich in sich hat.
Die Hauptfigur, Nelly, reist nach dem Tod ihres Mannes mit ihrem Sohn in den Westen aus, per Scheinheirat. Dort, im Notaufnahmelager, nimmt sie der amerikanische Geheimdienst in die Mangel, denn ihr verstorbener Mann war, wie sie nun erfährt, ein Doppelagent, und man vermutet, dass sein Tod nur fingiert war. Nelly lässt sich auf eine kurze Affäre mit dem amerikanischen Geheimdienstmann ein, wohl auch, um mehr, Genaueres zu erfahren. Aber der scheint gar nicht mehr zu wissen, warnt sie nur vor möglichen Stasi-Spitzeln in ihrem persönlichen Umfeld. Daraufhin fällt Nellys Verdacht auf Hans, einen ehemaligen DDR-Häftling, den sie im Lager kennen gelernt hat und der im Begriff ist, sich mit ihrem Sohn und ihr anzufreunden. Am Ende verlassen Nelly und ihr Sohn das Lager und damit die Zone der gegenseitigen Verdächtigungen. Sie ziehen in die Wohnung, die Hans ausfindig gemacht hat, und lassen diesen dort auch ein, als er zu Weihnachten klingelt.
In „Westen“ werden neben Deutsch zwei weitere Sprachen oft gesprochen: russisch und amerikanisches Englisch. Und tatsächlich bestimmt die Grundstruktur des Kalten Krieges auch diese Geschichte. Die Hauptfigur Nelly weiß es anfangs nur noch nicht. Sie muss erst in den „Westen“ gehen, um ihr bisheriges DDR-Leben nachträglich zu begreifen. Wie wahr!
Am Beginn ist Nelly naiv. Ihr Mann, der Russe, ist geheimnisvoll und zärtlich, und pflegt in Abständen immer wieder zu verschwinden. Nelly bewundert das. Als der Mann dann irgendwann für immer wegbleibt, hält es auch sie nicht mehr in der DDR, und prompt begegnet sie dem westlichen Spiegelbild ihres schönen Russen, dem schönen Amerikaner, einem attraktiven Schwarzen. Neben diesem wirken der westdeutsche Geheimdienstler und überhaupt die ganzen westdeutschen Lagerverwalter piefig, beinahe fies in ihrer subalternen Art. Nicht anders als die Subalternen in der DDR, die auch nicht mehr zu ertragen waren, nachdem Nelly ihren Mann, ihren Kontakt ins Internationale und nach Moskau, verloren hatte.
Das Leuchten, das erste Glücksgefühl, endlich im Westen und entronnen zu sein, vergeht schnell. Nelly und ihr Sohn Alexej schließen sich einer deutsch-russischen Familie an, die vital die Möglichkeiten des Westens nutzt. Später entsteht der Kontakt zu Hans, dem DDR-Oppositionellen, dem verkorksten Charakter, dem der Absprung aus dem Lager in die westdeutsche Wirklichkeit nicht gelingen will. Mich hat dieser Erzählstrang besonders bewegt: Denn es ist ja der kleine Alexej, der Vaterlose und Verlorene, der in dem seelisch zerstörten Hans eine gleichgesinnte Seele und einen Vaterersatz erkennt und ihn zu sich heranzieht, während die Mutter Nelly, frisch vom Rendevous mit dem Amerikaner kommend, in ihm vor allem einen Stasi-Spitzel sieht.
Am Ende kulminiert der Konflikt darin, dass die Lagerinsassen, dominiert von den Russen, Hans verprügeln und demütigen. Alexej nimmt Partei für Hans. Nelly ist sich unschlüssig.
Doch dann – die Russen sind inzwischen auch aus dem Lager ausgezogen – nimmt sie Hans‘ Vorschlag an und mietet die Wohnung, die Hans für sie gefunden hat. Es ist Weihnachten und Alexej und sie sind glücklich. Der Film endet damit, dass Hans, der mit dem deutschesten aller Namen, klingelt, und es scheint, dass ihm aufgetan wird.
In dem Interview zum Film betont die Drehbuchautorin Heide Schwochow, dass es ihr wichtig war, nicht aufzulösen, ob Hans nun ein Spitzel war oder nicht. Emotional und was die Filmlogik betrifft, ist er es nicht. Keine seiner Verhaltensweisen im Film ist auffällig verdächtig. Einzig sein Charakter, sein Gebrochensein, sei Loser-Zynismus könnten in diese Richtung deuten. Aber das ist sehr vage: Durch Diktaturen Gebrochene eignen sich gut zu Spitzeln (Sascha Anderson), vielleicht sind sie aber einfach nur gebrochen (Jürgen Fuchs). Vielleicht müssen sie sich zwischen beidem entscheiden („Der Kuss der Spinnenfrau“).
Letztendlich ruft der Film dazu auf, einen Schlussstrich zu ziehen unter die Logik des Kalten Krieges. Deutlich wird das an der ergreifenden Geschichte des Kindes. Der Kalte Krieg nahm ihm den Vater, der Kalte Krieg konfrontierte ihn mit der Verachtung durch die Westdeutschen, die Erfüllungsgehilfen der Amerikaner. Nur Hans, der mit dem einheimischen Schicksal, kann ihm ein Vater sein. Und wenn es zu diesem Schicksal gehören sollte, in Stasi-Fiesheiten verstrickt gewesen zu sein – nun, dann war es so. Das lese ich aus dem Film. Und bin nicht sicher, ob ich es unterschreibe. Aber wahrscheinlich schon.
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