Dienstag, 23. November 2010
Was wäre die Bundeswehr ohne Frank Lehmann? – Ein Plädoyer für die Wehrpflicht
Es wird Sie vielleicht verwundern, dass ich hier ein Plädoyer für die Wehrpflicht halte, wo ich doch meine Leiden als Wehrpflichtiger hier schon ausführlich geschildert habe und mich auch sonst hinreichend als Linker geoutet habe.
Aber irgendwie piksen mich die öffentlichen Diskussionen dieser Tage an, diese von links bis weniger links einstimmige Ablehnung der Wehrpflicht, bei der höchstens das Wegfallen einiger bequemer Arbeitsplätze bedauert wird. Ich finde, man sollte die Frage grundsätzlicher diskutieren. Meiner Meinung nach verwirkt eine Armee sowohl das Recht als auch die Fähigkeit, für die Interessen einer Bevölkerung zu kämpfen, wenn diese Bevölkerung nicht auch ausreichend in ihr repräsentiert ist. Sie kennen doch sicher „Neue Vahr Süd“ und Sie werden mir zustimmen, dass die Bundeswehr erst durch die Präsenz von Skeptikern und Quertreibern wie Frank Lehmann die Akzeptanz und Autorität bekommen kann, die sie – meines Erachtens – auch verdient: entweder eine Armee für alle oder gar keine. Eine Armee ohne die vielen Frank Lehmanns, die eher zufällig da reingeraten, eine Armee nur aus Freiwilligen, – das wäre ja eine Söldnerarmee, wie es sie früher gab, ein willfähriges Heer im Dienste irgendeines Fürsten. Deshalb kann ich dem Vorschlag Karl Theodor zu Guttenbergs, die Bundeswehr vollends auf eine solche Söldnerarmee zu reduzieren, nichts abgewinnen. Und die zustimmenden Argumente von links und weniger links gefallen mir auch nicht. Die Wehrpflicht abzuschaffen, weil sie ein Zwangsdienst für nur wenige ist, das ist mir zu einfach. Soll eine Gemeinschaft nicht das Recht haben, sich ein Instrument zur Selbstverteidigung zu schaffen? Und ganz ohne Zwang geht das nun mal nicht – auch Steuern würde niemand freiwillig zahlen. Außerdem ist Steuerflucht moralisch mies, ebenso wie die Haltung: „Sollen doch die anderen zum Bund! Hauptsache, ich habe meine Freiheit. Und einen Ersatz dafür will ich auch nicht leisten – schließlich sind 'die da oben' sowieso die Bösen, und die Bundeswehr erst recht." Von weniger links kommt dann das Argument, dass es existenzielle deutsche Interessen im Ausland gibt, und die könne eben nur eine Berufsarmee vertreten. An dem Argument mit den existenziellen Interessen ist ja was dran. Allerdings steht dieser militärischen Interessenvertretung einiges entgegen, neben der derzeit fehlenden Zustimmung durch eine Bevölkerungsmehrheit vor allem die Souveränitätsrechte so genannter „instabiler“ Staaten, über die die meisten Pro-Berufsarmee-Argumentatoren ziemlich leichtfertig hinweggehen. (Stellen Sie sich mal vor, irgendeine außereuropäische Macht erklärte Europa aufgrund der Euro-Krise für „instabil“ und rechtfertigte damit eine militärische Invasion.) Außerdem: Wenn wirtschaftliche Zusammenhänge so lebensbedrohlich sein können, dass ein militärisches Sich-Hinweg-Setzen über fremde Souveränitätsrechte gerechtfertigt ist, dann sind sie mindestens so lebensbedrohlich, dass sie auch ein Asylrecht für Wirtschaftsflüchtlinge erfordern. Eine Ökonomisierung des Begriffs „Landesverteidigung“ ohne eine Ökonomisierung der Begriffe „Verfolgung“ und „Asyl“ wäre widersinnig. So, und zum Schluss muss ich noch auf ein Argument eingehen, das mich regelrecht aggressiv macht: Die neuen Aufgaben der Bundeswehr erforderten eine hoch spezialisierte, professionelle Armee und daher den Verzicht auf die Mitwirkung militärischer Laien. So? Ist damit gemeint, dass so ein Auslandseinsatz nur funktioniert, wenn man sich den Stress mit Herrn Lehmann sparen kann? Und glaubt wirklich jemand, dass Outsourcing gesellschaftlicher Kernaufgaben (wie der Landesverteidigung) an externe „Spezialisten“ zu einer Erhöhung der professionellen Qualität führt? Das Gegenteil ist der Fall. Ich arbeite selbst für ein externes, „gemeinnütziges“ Unternehmen, das im Auftrag staatlicher Stellen Spezialaufgaben übernimmt (Integrationskurse im Auftrag des Innenministeriums). Wenn meine Kollegen und ich im Vergleich zu unserem Auftraggeber, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, irgendwie „professioneller“ sind, dann nur in folgendem Sinne: Wir sind schlechter bezahlt, schlechter organisiert, weniger loyal. Also, so viel ist sicher: Eine Bundeswehr als professionelle Spezialtruppe wird chaotischer, brutaler, schwerer kontrollierbar sein. Und das können nicht mal die wirklich wollen, die ihren Einsatz nicht werden zu erleiden haben.

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