... newer stories
Freitag, 10. September 2010
Die Geschichte von Herrn E.
damals, 12:54h
Ich bin ja verantwortlich für die Alphabetisierungkurse und im Kurs 40 gab es ein Problem, und zwar mit Herrn Y., einem älteren Afghanen bäuerlicher Ausstrahlung. Teilnehmer beschwerten sich, dass er stinke, wollten mit ihm nicht in einem Raum sitzen. Das erzählte mir der Dozent ratlos. Ich war es auch. Immerhin schlug mein Herz für Y: Ich hatte ihn eingestuft – er war Ende 50 und tatsächlich Analphabet: auch in seiner Muttersprache konnte er nur seinen Vornamen schreiben - und ich hatte ihm in meinem Anfängerkurs die ersten Buchstaben beigebracht. Von Stinken war mir nichts aufgefallen, allerdings: Ich bin in der Frage auch toleranter als im desodorierten Westdeutschland üblich. Was also tun? Ich schickte meine Kollegin J. in die Klasse, eine Polin und entsprechend etepetete. Sie setzte sich unter einem Vorwand neben Y. und befand: unangenehmer Geruch spürbar, aber im vertretbaren Bereich. Fast gleichzeitig erreichte mich ein Anruf von Y.s Sohn: Sein Vater werde von Frau M. gemobbt und wolle nicht mehr zum Kurs kommen. Bei mir schrillten die Alarmglocken: Ein Teilnehmer weniger bedeutet einen spürbaren Einnahmeverlust für die Firma. Ich beraumte eine Ansprache an, eine heikle Sache, wenn man es mit Sprachanfängern aus aller Herren Länder zu tun hat und selber nichts als Deutsch kann. Aber es wurde einfacher als gedacht: Die Iranerin M. und Y. kristallisierten sich schnell als die eigentlichen Kampfhähne heraus, sie sprachen dieselbe Sprache. Frau M., die Bildungsbürgerin unter Stress (sie befand sich gerade in einem hässlichen Scheidungskrieg) und Y., der Bauer, der mit Hartz IV und seinem Minijob in einer Restaurantküche ganz gut klar kann, solange der Sohn ordentlich seine Ausbildung machte. Sie kamen aus zwei Welten und sprachen dieselbe Sprache - was die gegenseitige Abneigung leider nur verstärkte. M. empfand Y. als ihren Landsmann und das war ihr peinlich.. Sie benahm sich wie eine persische Sarrazinin. Aber zum Glück sprach auch Herr E. Persisch und er fand sich bereit zu moderieren. Ihm ist es zu verdanken, dass die Sache nach zehn Minuten beigelegt war. So weit, so gut,.
Ein dreiviertel Jahr später war Prüfung, die ich mit einer Kollegin durchzuführen hatte. Und da waren sie wieder. Zwar nicht Y., der hatte aus Angst vor der Prüfung, die er einfach nicht bestehen konnte, einen Monat zuvor den Kurs verlassen. Und ich hatte auch ein paar Telefonate mit der Arge, der ich Gott sei Dank verständlich machen konnte, dass dieses Verhalten nachvollziehbar und jedenfalls keine Integrationsunwilligkeit ist. Frau M. aber war da. Im ersten Teil der Prüfung muss der Prüfling sich und seine Familie kurz vorstellen. Ich machte mich auf giftige Statements über ihren Ex-Ehemann gefasst. Aber etwas ganz anderes geschah. Sie brach in Tränen aus. "Ich habe zwei Töchter. Ich habe sie im Iran zurückgelassen. Ich weiß nicht, was mit ihnen ist. Ich halte das nicht aus. Ich habe eine Therapie begonnen. " Und wieder Heulen.
Aber damit nicht genug. Kurz darauf war Herr E. da. Er begann seine Vorstellung mit: "Mein Leben ist kaputt." Dann erzählte er: Als Jugendlicher hatte er bei den Volks-Mujahedin gekämpft (das hatte ich gar nicht gewusst, dass es die nicht nur im Iran gegeben hatte, dass es auch linken Widerstand gegen die Russen in Afghanistan gegeben hatte, nicht nur den durch Pakistan und den Westen unterstützten rechten Widerstand der Taliban). Nach Abzug der Russen gab es einen ungleichen Konkurrenzkampf der Anti-Russen-Aktivisten. Herr E. malte in Herat Anti-Taliban-Parolen an Häuserwände - und setzte sich sofort in Richtung Iran ab. Die Taliban erschossen ersatzweise seinen Vater und seinem Bruder. Herr E. schlug sich bis nach Deutschland durch, konnte seine Geschichte nicht beweisen und bekam jeweils eine vierteljährliche Duldung und einen Schlafplatz im Ausländerwohnheim. Ohne Arbeitserlaubnis, ohne ein Recht auf einen Deutschkurs. Acht Jahre lang. Dann gingen deutsche Soldaten nach Afghanistan, und aus schlechtem Gewissen bekamen die Afghanen in Deutschland alle ihren "Aufenthalt". Auch Herr E. Zu spät. Er ist Mitte dreißig, hat bescheidene deutsche Sprachkenntnisse und nicht die richtigen Kontakte. Seine Moderationsfähigkeit, seine Freundlichkeit helfen ihm da wenig.
Ob das alles stimmt das weiß ich auch nicht. Ich hänge mich nie in die Lebensgeschichte meiner Teilnehmer. Aber so habe ich es gehört und ich wollte es einfach einmal aufschreiben.
Ein dreiviertel Jahr später war Prüfung, die ich mit einer Kollegin durchzuführen hatte. Und da waren sie wieder. Zwar nicht Y., der hatte aus Angst vor der Prüfung, die er einfach nicht bestehen konnte, einen Monat zuvor den Kurs verlassen. Und ich hatte auch ein paar Telefonate mit der Arge, der ich Gott sei Dank verständlich machen konnte, dass dieses Verhalten nachvollziehbar und jedenfalls keine Integrationsunwilligkeit ist. Frau M. aber war da. Im ersten Teil der Prüfung muss der Prüfling sich und seine Familie kurz vorstellen. Ich machte mich auf giftige Statements über ihren Ex-Ehemann gefasst. Aber etwas ganz anderes geschah. Sie brach in Tränen aus. "Ich habe zwei Töchter. Ich habe sie im Iran zurückgelassen. Ich weiß nicht, was mit ihnen ist. Ich halte das nicht aus. Ich habe eine Therapie begonnen. " Und wieder Heulen.
Aber damit nicht genug. Kurz darauf war Herr E. da. Er begann seine Vorstellung mit: "Mein Leben ist kaputt." Dann erzählte er: Als Jugendlicher hatte er bei den Volks-Mujahedin gekämpft (das hatte ich gar nicht gewusst, dass es die nicht nur im Iran gegeben hatte, dass es auch linken Widerstand gegen die Russen in Afghanistan gegeben hatte, nicht nur den durch Pakistan und den Westen unterstützten rechten Widerstand der Taliban). Nach Abzug der Russen gab es einen ungleichen Konkurrenzkampf der Anti-Russen-Aktivisten. Herr E. malte in Herat Anti-Taliban-Parolen an Häuserwände - und setzte sich sofort in Richtung Iran ab. Die Taliban erschossen ersatzweise seinen Vater und seinem Bruder. Herr E. schlug sich bis nach Deutschland durch, konnte seine Geschichte nicht beweisen und bekam jeweils eine vierteljährliche Duldung und einen Schlafplatz im Ausländerwohnheim. Ohne Arbeitserlaubnis, ohne ein Recht auf einen Deutschkurs. Acht Jahre lang. Dann gingen deutsche Soldaten nach Afghanistan, und aus schlechtem Gewissen bekamen die Afghanen in Deutschland alle ihren "Aufenthalt". Auch Herr E. Zu spät. Er ist Mitte dreißig, hat bescheidene deutsche Sprachkenntnisse und nicht die richtigen Kontakte. Seine Moderationsfähigkeit, seine Freundlichkeit helfen ihm da wenig.
Ob das alles stimmt das weiß ich auch nicht. Ich hänge mich nie in die Lebensgeschichte meiner Teilnehmer. Aber so habe ich es gehört und ich wollte es einfach einmal aufschreiben.
... link (3 Kommentare) ... comment
... older stories