Mittwoch, 2. Juni 2010
Die Wut des Herrn Minkmar
Gestern habe ich mich bei Don Alphonso und Damenwahl an Diskussionen über den Rücktritt von Horst Köhler beteiligt und dabei ist mir eine peinliche Sache passiert: Ich warf dem FAZ-Kommentator Nils Minkmar vor, die alte militaristische Floskel vom „gerechten Krieg“ wieder zu etablieren. Dabei war das Ironie! So weit kann’s gehen mit der Politisierei. Aber warum war mir Minkmars Kommentar so unangenehm, dieser doch engagierte, elegante, selbst beim Griff zur Umgangssprache fast immer treffsichere und inhaltlich fundierte Text? Minkmars Text überzeugt, er ist von einer Wut getragen, die für den Leser klar nachvollziehbar ist. Sie speist sich aus der Enttäuschung über ein Staatsoberhaupt, das „nie durch eigene Ideen aufgefallen war“ und sich darauf beschränkte, Gesetze beamtenhaft auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen. Und dann „das berüchtigte Interview“, in dem Köhler „seine Interpretation des gerechten Krieges in globalisierten Zeiten“ dargestellt hat. Das ist doch irgendwie merkwürdig: Der uninspiriert, konventionell, tatenlos gescholtene Köhler tritt als eigenmächtiger Interpret der Regierungspolitik auf und lässt leichtfertig Zweifel an deren Verfassungstreue aufkommen. Schwer glaubhaft. Aber darum geht es dem Autor auch gar nicht. Es geht ihm um die Frechheit, dass Köhler einfach kündigt, während „wir uns selbst beschwören ... die Ansprüche zu senken, sich fit zu halten, mobil zu bleiben ...“. Tun wir das wirklich? Nehmen wir jede Erniedrigung in Kauf, „um durch die Zeiten zu kommen“? Köhler hat getan, was jeder von uns darf. Jeder darf kündigen und niemand darf gezwungen werden, eine Arbeit zu tun, die er nicht aushält. Nicht einmal ein HartzIV-Empfänger. So steht es in der Verfassung, von der hier schon öfter die Rede war. Und wir sollten nicht so tun, als würde sie nicht mehr gelten. Ja, aber, entgegnet nun Herr Minkmar: „Und wie will man beispielsweise in den ostdeutschen Provinzen Kandidaten für die Kommunalwahlen finden“? Tja, das ist eure Sorge in Berlin und bei der FAZ. Ihr bestimmt die Politik. Wir haben das Recht, nicht mitzumachen. Nils Minkmar nennt das „illoyal“. Wieso das? „illoyal, weil er der Bundeskanzlerin, die ihn gefördert ...hat, den Boden unter den Füßen wegzieht.“ Aha. Hatte er nicht anfangs an Köhler kritisiert, dass er brav im Sinne seiner „Gönner“ agiert? Und wenn er das nicht mehr tut, ist es auch wieder verkehrt? Offenbar macht Minkmar gar nicht wütend, dass Köhler vorher so zurückhaltend war. Wirklich wütend macht ihn, dass er nicht mehr im Sinne der Politikmaschinerie funktioniert. Da muss ich schadenfroh lächeln: Denn so gesehen, hat Köhler gerade mit seinem Rücktritt bewiesen, dass er doch ein guter Präsident war. Köhler, der Fahnenflüchtling, das hat Minkmar treffend beobachtet. Köhler, der die Richtlinien der Bundeswehr ausplaudert, möchte man ergänzen. Ingeborg Bachmann wollte einen Orden verleihen „für die Flucht vor den Fahnen, ... für den Verrat unwürdiger Geheimnisse und die Nichtachtung jeglichen Befehls.“ So, und zum Schluss noch die „Verschwörungstheorie“: Könnte es nicht sein, dass man versucht, unsere ganz andere Wut, die Wut über die klammheimliche Umwandlung der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- und Verteidigungsarmee zu einer Berufs- und Interventionsarmee, geschickt auf einen ehemaligen Bundespräsidenten umzulenken, um die wahrhaft dafür Verantwortlichen aus der Schusslinie zu bekommen? Das wäre doch einigen sehr bequem. P.S. Kann mir jemand mal verraten, wie man einen optisch vernünftigen Link setzt?

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