Mittwoch, 5. Mai 2010
Warum ich nicht zum Chef tauge ...
... und auch nicht zum Revolutionär (denn das ist nur eine andere Ausformung derselben spezies): Ich hab irgendwie keinen Sinn für Macht. Und das ist nichts, worauf ich stolz sein könnte, denn da es Macht nun einmal gibt, führt das zu absurden Konstellationen: „Komisch“, meinte meine vorige Chefin (die kürzlich an ihrem eigenen Machtanspruch scheiterte und die Notbremse „Kündigung“ zog), „Wenn man dir Verantwortlichkeiten überträgt, gibt’s Probleme. Scheinbar fühlst du gar keinen Ehrgeiz, die auszufüllen. Aber wenn du kein Amt hast, handelst du umsichtig, übernimmst selbstständig Verantwortung ...“ Tja, und nun hab ich eine neue Chefin, eine toughe Osteuropäerin – Ihr kennt sicher den Typ – und es gibt einen Herrn X., einen alten 68er, den Typ kennt Ihr auch, der hat schon als junger Mann im Asta gegen die Schulbehörde geklagt (und sich die Fünf im Staatsexamen eingefangen als Dank) und jetzt lässt er sich immer noch nichts sagen.
In seinem Kurs (d.h. dem Kurs, in dem er freiberuflich unterrichtet und ich als Festangestellter der Seminarleiter bin) war eine Teilnehmerin, die hatte ihr Stundenkontingent fast aufgebraucht, ohne die Aussicht, die Abschlussprüfung zu bestehen (denn das schaffen in den Analphabetenkursen nur die Wunderkinder, von denen bestenfalls eins aufs Dutzend kommt). Und die wird nun krank, drei Wochen lang. X. bittet mich um eine Verlängerung für die Frau. Nun, das kann man schon machen, es liegt sogar nahe: Die Fehlzeit wird nicht abgerechnet, sie bekommt nochmal hundert Stunden, das ist ein Monat, den sie noch mit den andern im Kurs sitzen darf, der kostenlose Kindergartenplatz für die Tochter wird auch verlängert für die Zeit. Allemal besser als mit Hartz IV und dem Kind allein in der Wohnung sitzen. Jetzt kommt sie wieder und zehn Tage später stürzt sie, bricht sich die Hand – wieder wochenlang krank. „Was machen wir?“ fragt mich A. , die die Kurse abrechnet. „Nochmal verlängern, das hat doch keinen Sinn.“ sag ich „Sie kommt doch im Unterricht überhaupt nicht mehr mit, nach fast zwei Monaten! Und nur wegen dem Kindergartenplatz? Nee, das mach ich nicht.“ Und ich sag X., dass für Frau Hastdunichtgesehen der Kurs nun leider vorbei ist. „Kann man da gar nichts mehr machen?“ – „Nichts zu machen“, sag ich und bin zu feige zu sagen: „Das ist meine Entscheidung und ich hab meine Gründe.“ Zwei Tage später sagt mir X.: „Ach, wegen Frau ... – ich hab beim Bundesamt in Nürnberg angerufen.“ Und ich sag nicht: „Das geht dich gar nichts an. Das ist unsere Entscheidung.“ Sondern nur: „Wenn du meinst, bitte sehr!“ Natürlich war ich sauer, dass er mich nicht ernst nimmt. Aber ich fühlte mich im Recht und auf der sicheren Seite. Und irgendwie belächelte ich auch seine revoluzzerhafte Art, gleich bei der obersten Behörde anzurufen. Eine Woche später stürzt meine Chefin wutentbrannt aus ihrem Büro: „Wissen Sie, dass Herr X. ...? In Nürnberg!“ Ich sag: „Ja, er hat mich informiert, nachträglich.“ – „Er hat sich als Mitarbeiter unserer Firma ausgegeben! Also, das geht gar nicht!“ Kurz und gut, sie hat ihn sich einbestellt – aber wie gesagt, X. ist ein alter 68er und lässt sich nichts sagen – dann hat sie mich gefragt: „Ist er jetzt wirklich so ein toller Lehrer, dass wir nicht auf ihn verzichten können?“ und ich sage „So toll nun auch wieder nicht.“ (anstatt die differenziertere Wahrheit: großartiger Pädagoge, aber jetzt grad kein Alphabetisierungsspezialist). Und diesmal hab ich das nicht aus Feigheit gesagt, sondern weil ich immer noch sauer war auf X.
Tja, und jetzt ist er raus und ich hab ein schlechtes Gewissen. Wie gesagt, in der Sache hab ich Recht, glaube ich, nur hätt ich den Vorgesetzten raushängen lassen müssen, wo ich ja in der Tat auch Vorgesetzter war. ... da hab ich mir den Niedriglohnbereich ausgesucht und gedacht, da entgeh ich den Problemen. Tu ich aber nicht.

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