Mittwoch, 10. April 2024
Populistische Frage
Ich weiß ja nicht, um welche Waffen es sich konkret handelt (in den Medien las ich nur von Panzerfäusten und Korvetten) - aber wäre es nicht eine Überlegung wert, die deutschen Waffenlieferungen nach Israel in die Ukraine umzuleiten? (Wenn Deutschland das schreckliche Zeug schon produzieren muss, dann sollte es es wenigstens dahin liefern, wo ein Nutzen für die Menschehit damit erreicht werden kann.)

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Samstag, 6. April 2024
Kunstrezension: Stolpersteine oder schwarzer Block
Angesichts von Ereignissen, die nichts damit zu tun haben, wird ja dieser Tage auch wieder über das Holocaust-Gedenken diskutiert, und es kann sein, dass die Tatsache, dass ich heute über ein Denkmal „für die verschwundenen Juden Altonas“ schreibe, auch damit etwas zu tun hat, vielleicht aber auch nicht.

Jedenfalls zeigte mir vor ein paar Jahren ein Bekannter dieses Kunstwerk und meinte, das sei mal eine gelungene Form des Gedenkens, so minimalistisch und eindringlich. Ich stand eher ratlos vor dem schwarzen Klotz, ich verstand nicht, was das sollte.



Inzwischen habe ich das Denkmal öfter wiedergesehen, aber erst dieser Tage, als ich es mal in Ruhe betrachtete und auch die zugehörige Platzgestaltung mit Treppenanlage bemerkte, ging mir ein Licht auf: Ja, da spürte ich die Eindringlichkeit schon: Der Klotz steht ziemlich massiv im Raum und stört – und er will ja auch stören, verstören.



Aber wie das Ding erhaben mit einer Treppenanlage versehen, wie es staatstragend in eine Achse mit dem dahinterliegenden Rathaus gesetzt ist (nicht anders als das dahinter stehende alberne Kaiserdenkmal, das den dortigen „Platz der Republik“ verunziert) – nein, also, das gefällt mir nicht. Zumal derselbe Staat, dieselbe Kommune wenige hundert Meter entfernt ermöglichte, dass ein Einkaufszentrum auf einem von den Nazis verwüsteten jüdischen Friedhof mitsamt dort noch herumliegenden Toten errichtet wurde (nur eine versteckte Tafel im Kellergeschoss erinnert daran) – eine solche Öffentlichkeit sollte dann nicht vor dem Rathaus anfangen, Gedenken zu spielen.

Wie anders dagegen das Konzept der Stolpersteine, die mich so oft im Alltag innehalten lassen! Die Dinger blitzen auf, wenn mensch sich in der Selbstverständlichkeit des Alltagstrotts verliert, und erinnern: Mensch, denk nach! Bei mir jedenfalls funktioniert das, besser als bei dem dicken Denkmal dort in der Zentralachse.


P.S. ... und wie immer funktionieren meine Fotos nicht: Das Denkmal sieht auf meinen Schnappschüssen elegant, angemessen, stimmig aus, gar nicht so klotzig, wie ich es vor Ort erlebte.
Na ja, vielleicht ist es ja auch so - und ich mag einfach Stimmigkeit und Angemessenheit nicht - ich will überrascht, bewegt sein.

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Montag, 18. März 2024
Getroffene Hunde bellen ...
... obwohl Strack-Zimmermann ehrlich gesagt schon vorher gebellt hat.
Dennoch wäre es ein schöner Zug gewesen, wenn sie jetzt, da sie ertappt ist, dass sie wider besseren Wissens gegen Scholz gepoltert hat (oder wusste sie das wirklich nicht, das wär ja noch peinlicher), dass sie da einfach mal ein paar Tage den Mund hält.

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Donnerstag, 14. März 2024
Scham und Schreiben
Ich vergrab mich schon wieder in virtuelle Welten, im Moment ist meine täglich Begleiterin „Die Wunde“, ein Buch der russischen feministischen, lesbischen Autorin Oxana Wassjakina über den Tod ihrer Mutter (ein Tipp der FAZ übrigens) – nicht alles darin gefällt, aber vieles fesselt mich, und geschrieben ist es sowieso wunderbar …

Über die Probleme weiblichen literarischen Schreibens bemerkt sie: „In ‚Das Lachen der Medusa‘ bemerkt Hélène Cixous, wir würden immer nur ein bisschen, im Geheimen, schreiben. Und natürlich käme deswegen nicht Gutes heraus, und weil wir es heimlich tun und uns auch noch dafür bestrafen, dass wir die Sache nicht zu Ende bringen; weil wir so schreiben würden wie wir masturbieren, nicht, um immer weiter zu gehen, sondern gerade so viel, um die Anspannung zu lösen. Doch sobald die Entspannung einträte, würden wir uns schuldig fühlen, uns Vergebung und Vergessen wünschen, und dieses Gefühl vergraben bis zum nächsten Mal.“

Treffend bemerkt. Vielleicht kennen Sie es ja auch als Blogger, dieses Gefühl der Schuld, der Scham, ich jedenfalls kenne es: Wie oft musste ich gepostete statements nachträglich verbessern, ergänzen, inhaltlich zurücknehmen oder ganz löschen, insbesondere unter Alkohol geschriebene, wenn es ungefiltert, unkontrolliert, also eigentlich besonders ehrlich aus mir rausplatzt. Und deshalb schreib ich in der Regel auch kontrolliert, gehemmt, gerade nur so viel, wie ich eben schreiben muss, um die Anspannung der Schreiblust loszuwerden und wieder eine Weile ohne die hässlichen Schriftsteller- und „Ich bin wichtig“-Gelüste leben zu können. Und die Bloggerei ist da sogar besonders geeignet, denn sie erzieht zum hastigen, kurzen, erfolglosen Schreiben.

So sehr ich mich also in den Qualen der Frauen wiedererkenne, sind sie doch anders. Wassjakina schreibt weiter: „Immer, wenn ich schrieb, tat ich es zwischendurch, als sei das Schreiben etwas Unnötiges, Schäbiges und Sinnloses. Ich schrieb in der Metro, in der Pause zwischen der Arbeit und dem Essen, beim Essen. Ich wies dem Schreiben einen Platz zu, der zweitrangig war, damit seine Bedeutungslosigkeit nicht so offensichtlich wurde.“

Also: Die Scham und das Sich-selbst-Verbannen in die Bedeutungslosigkeit, das haben wir gemeinsam. Was aber anders ist: Wassjakina traut der Wichtigkeit ihrer Worte nicht, hält es nicht für wichtig, sich und ihre Wahrheit der Welt mitzuteilen, nimmt also ihre Diskriminierung als Frau selbst schon vorweg. Aber dass ihre Wahrheit Wahrheit ist, daran zweifelt sie nicht.

Ich als bildungsbürgerlich sozialisierter Mann erlebe es umgekehrt. Ich zweifle nicht daran, dass ich schreiben muss, dass es wichtig ist, dass ich schreibe, dass ich den genialischen Impuls habe zu schreiben, dass ich zu schreiben berufen bin und dass das zu mir gehört. Mein Schreiben ist nicht in Gefahr, in meinen Augen zweitrangig zu werden (ich bin ja ein Mann) – es ist in Gefahr unwahr zu sein. Ich kann gut schreiben, also kann ich gut belügen, andere wie mich selbst. Wenn ich schreibe, gerate ich unversehens in narzisstische Selbststilisierung – und muss befürchten, beim Tricksen ertappt zu werden (wie hier schon oft geschehen) – und nie das sagen zu können, was ich innersten Herzen ausdrücken will. Immer nur Prätentiöses oder scheinrationale Debatten. Das ist meine, die männliche Schreibscham, sie verhält sich spiegelbildlich zu der der russischen Feministin auf ihrer Reise durch Sibirien.

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Auf der allerletzten Seite meines damals analog geführten Tagebuchs hab ich mich dazu schon mal geäußert, ich zitierte Wolfgang Hilbigs genialen Satz darüber: „Jetzt war er zum Schriftsteller erklärt worden, und plötzlich war ihm die Sprache, die er früher mitbewohnt hatte, zu einem Raum geworden, aus dem er ausgeschlossen war.“ („Ich“, S. 131)

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Dienstag, 20. Februar 2024
Warum nicht auch mal Diplomatie?
Wenn jetzt Deutschland nach dem Tod von Nawalny den russischen Botschafter einbestellen würde, da hätte ich überhaupt nichts dagegen ...
(... es müssen nicht immer Raketen sein.)

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Donnerstag, 25. Januar 2024
Weg mit den Märtyrerfotos!
Ich habe endlich mal wieder ein "Kleines Fernsehspiel" gesehen (damals, als ich noch ein einsamer Student war und alle Zeit der Welt hatte, vor allem nachts, da hab ich keins verpasst): "Stille Post".
Das war jetzt künstlerisch nicht so die größte Meisterleistung, aber natürlich alles andere als plump oder gar klischeehaft, nein, nur ein bisschen simpel und ungelenk in der Machart, dafür aber klug und sympathisch - eben typisch "Kleines Fernsehspiel".

Also: Ein Berliner Kurde bekommt 2015 Videos aus Erdogans Bürgerkrieg im Kurdengebiet zugespielt, die die Verbrechen der türkischen Armee hautnah zeigen. In der Kamerafrau erkennt er - an der Stimme, an dem Leberfleck an ihrem Bein, ... - seine totgeglaubte Schwester - und lässt sich auf einen Deal mit dem mysteriösen Überbringer ein: Wenn es ihm gelingt, mit Hilfe seiner Freundin, einer Fernsehjournalistin, die Bilder ins deutsche Fernsehen zu bringen, wird ihm der Kontakt zu seiner Schwester vermittelt. Seiner Schwester, die damals, als seine Eltern ermordet wurden, ihren Tod fingierte, um unterzutauchen, und die nun als Kamerafrau für die PKK agiert.

Natürlich traut die deutsche Redaktion den Bildern mit unischerer Herkunft nicht, und zwar vor allem, weil sie unspektakulär sind: Die Szene mit der Leiche ist viel zu verwackelt, und eine jammernde Frau mit Kopftuch in einer Ruinenlandschaft ist ihr auch nicht aussagekräftig genug, und in dem Moment, da in die demonstrierende Menge geschossen wird, sind nur lauter Beine im Bild.

Also frisiert die Freundin die Aufnahmen ein bisschen auf: mixt noch Flugzeuglärm und ein paar Detonationen in die Tonspuren, macht das Demostrantengeschrei lauter und schneidet das Ganze geschickt zusammen. Und schon erscheint das Material den Deutschen glaubhaft und schafft es in die Nachrichten und auch Claudia Roth im Bundestag zeigt sich erschüttert.

Als Gegenleistung gibt es einen Videocall mit der Schwester (die Freundin lädt ihn live ins Internet) - und es stellt sich heraus, dass diese auch nicht ganz echt ist, es ist eine andere Kämpferin, der Protagonist wurde gelinkt, damit er die Nachricht lanciert ...

Am Ende holt dieser enttäuscht und erbittert die Märtyrerfotos seiner Eltern, seiner Schwester von der Wand im Berliner Kurdenklub. Und tut damit das beste, was er in seiner Situation tun kann!

So simpel die Geschichte ist, so wahr ist sie auch - die Videos aus Kurdistan sind es jedenfalls: Es sind echte Videos, die der Regisseur persönlich dort eingesammelt hat. Und weil solche Videos, die so ergreifend unspektakulär, verwackelt und authentisch sind, hierzulande kein Mensch sehen will, hat er dann diesen kleinen Spielfilm um sie herum gestrickt. Und selbst das reicht dann nur fürs "Kleine Fernsehspiel" und irgendwelche Winkel-Filmfestspiele. Das große Publikum will die Wahrheit nicht sehen. Oder allenfalls industriell zubereitet als Kitschfilm.

Also, liebe Leser (soweit es Sie überhaupt gibt) - vergessen Sie die Wahrheit dieses Films nicht bei Ihrem täglichen Medienkonsum von Ereignissen, bei denen Sie nicht dabei waren.

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Samstag, 6. Januar 2024
Logisches Handeln
Wenn die Regierung sich verkalkuliert hat und dringend Geld benötigt, dann sucht sie es natürlich dort, wo es bekanntermaßen im Überfluss vorhanden ist: bei den Arbeitslosen und bei den Bauern.

Und wenn die Bauern, da sie anders als die Arbeitslosen eine Lobby haben, sich dagegen wehren, ist sofort klar, wer der Schuldige ist: die Grünen. Die ja, wie man weiß, vor allem für ihren skrupellosen Umgang mit Finanzprodukten berüchtigt sind.

Und dieser zwingenden Logik folgend wählen dann viele Leute die AfD, um ihre soziale Lage zu verbessern. Wie bescheuert kann man sein?

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Donnerstag, 4. Januar 2024
Meine Mutter
Über die Kindheit meiner Mutter will ich gar nicht viel Worte verlieren, sie war Jahrgang 36, hat also den Krieg als Kind voll mitgekriegt. Ich glaube, ihr prägendstes Erlebnis war in der Hinsicht, als sie in der Jahreswende 44/45 – ihr Vater musste, da für den Kriegsdienst zu alt, am Westwall Gräben buddeln – mit ihrer hilflosen, heulenden Mutter vor der Front zu den Großeltern floh.

Oder soll ich noch die Szene erwähnen, wie sie mit ihrer Mutter am Bahnhof den Güterzug sah, aus dessen Waggons Menschen nach Wasser riefen – und als sie ihnen Wasser bringen wollten, wurden sie von Bewaffneten brutal zurückgestoßen? Als sie heulend nach Hause kamen, sagte ihr Vater nur: „Ihr wisst doch, was los ist! Und wenn ihr das zufällig mal auch persönlich seht, da braucht ihr doch nicht zu heulen.“ Meine Mutter hat mir das oft als Beispiel für den verabscheuungswürdigen Zynismus meines Opas erzählt, und erst kürzlich, als sie schon dement war, erfuhr ich von ihr, dass mein Opa in seiner Firma auch mit der Organisation des Zwangsarbeiterwesens befasst war und durchaus auch mal eine Tanja zur Hilfe meiner Oma nach Hause schickte.

Kurz und gut, wie die meisten ihrer Generation hat sie als Kind schon die Angst- und Ohnmachtsgefühle mitgekriegt, zusätzlich zu dem, was normale familiäre Belastungen so ausmachen.

Meine Mutter hat später die Teilnahme am berufstätigen Leben weitgehend verweigert, die für Frauen in der DDR die Regel war. Ihre Kinder hat sie nicht in den Kindergarten geschickt. Sondern sie lieber selber beaufsichtigt und daneben an einer Dissertation gewerkelt, die niemand haben wollte, da sie politisch nicht so recht genehm war (es ging um avantgardistische Filmentwürfe Friedrich Wolfs, die das stalinistische Moskau irgendwann nicht mehr finanzieren wollte) und meine eigensinnige Mutter sowieso niemandem so recht genehm war. Zum Glück hatte sie meinen Vater, der das Familiengehalt beisteuerte und dem sie als moralischer Anker diente, damit er, der SED-Kader, sich nicht zu sehr zu Karriere und Kompromissen hinreißen ließ. Irgendwann blieb die Dissertation ganz liegen und sie forschte nur noch zur Genese des deutschen Kommunismus, bemüht, dessen reinen Urgrund freizulegen. Ihren Hass auf Stalin und dessen deutsche Erfüllungsgehilfen trug mein Vater mit – er half ihm, in den elenden Zeiten der späten DDR seine Aufrichtigkeit zu bewahren.

Er revanchierte sich, indem er ihr, als die Kinder aus dem Haus waren, eine Stelle als Filmwissenschaftlerin beschaffte (sie organisierte darin ein erfolgreiche Ausstellung über Fritz Lang) und später den Kontakt zu einem Verlag, in dem sie ihr einziges, wunderbares Buch veröffentlichen konnte, eine Untersuchung zu den romantischen Seiten des deutschen Stummfilms.

Wie Sie sich vorstellen können, war sie keine sehr talentierte Mutter. Sie war diszipliniert und streng, ohne diese Disziplin und Strenge zu mögen – sie verlangte sich das ab, sie glaubte, das müsse so sein. Ihre überquellende, naiv hilflose Liebe zu ihren Kindern vermochte sie sich selten einzugestehen. Wirklich frei und gelöst war sie nur in ihren Gedanken, ihren Überlegungen und Forschungen.

Sie hatte so gut wie keine Freundinnen, menschliche Kontakte fielen ihr schwer. Bei Partys blieb sie schüchtern stumm – oder sie verschreckte die Leute mit plötzlich geäußerten radikalen Meinungen, die es ihr nie gelang, im Dialog zu relativieren oder abzugleichen. Ihr Mann war ihr einziger sicherer Rückzugsort, da blieben auch wir Kinder außen vor.

Jetzt ist sie nicht mehr da. Sie fehlt mir.


(und danke an libralop, dessen anrührender Beitrag über seinen Vater mich zu diesem Text inspirierte: Auch meine Mutter war „Gefangene, Besucherin und Wärter“ in ihrem eigenen Gefängnis -Sch….-Schweige-DDR!)

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Dienstag, 12. Dezember 2023
Ach, diese Kinder ...
Unter der S-Bahnbrücke neben der Stadtteilschule fordern seit einigen Jahren jugendliche Sprayer zum Töten wechselnder Potentaten auf, manchmal wird auch der ganze Islam für schuldig befunden.

Jetzt konnten sie eine erste Person als erledigt von ihrer Todesliste streichen - haben dabei aber wohl einen Namen verwechselt.



Ach, was soll aus denen bloß werden, wenn sie groß sind? Vielleicht Außenminister, wie der Steinewerfer von einst?

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Freitag, 1. Dezember 2023
Zwei Bücher
Ach, wie schön, im Blog darf mensch, wie einst im Tagebuch, einfach drauflos schreiben, auch mit der privatesten, irrelevantesten Idee, und auch wenn ich die beiden zugrundeligenden Bücher grade mal angelesen habe …

Also, das kam so, dass ich dringend ein Buch brauchte, einen schönen, opulenten Roman zum Drinversinken am besten, denn wenn ich nichts zum Lesen habe, werd ich nervös und fühl mich leer (meine Frau behauptet, Bücher wären meine wahren und einzigen Freunde). Da fand ich ich in den FAZ-Papierstapeln meines Vaters eine Rezension zu Zadie Smith‘ neuem Roman „Betrug“. Ja, von Zadie Smith hatte ich schon gehört, vielleicht wärs an der Zeit, mal was von ihr zu lesen. Normalerweise greif ich als Geizhals und zum Antesten in einem solchen Fall zunächst zu einem früheren Roman der selben Person, die gibts im Internet in der Regel für fast umsonst, aber hier ergab die Internetrecherche, dass mich die früheren Romane von Zadie Smith nicht interessieren. Also fuhr ich vorbei bei der Buchhandlung und fand den aktuellen Roman dort tatsächlich vorrätig. Und im Rausgehen, beim schnellen Durchsehen der Auslagen (was man in meiner Buchhandlung, Christiansen in Ottensen, nie versäumen darf, die ist wirklich wohl sortiert), fiel mir noch ein kritisches Buch von Omri Boehm über Identitätspolitik auf, das ich kurz entschlossen gleich mitnahm. Da ich Omri Boehm wegen seiner Idee einer Haifa-Republik positiv, der Identitätspolitik dagegen kritisch gegenüberstehe, war es ja wahrscheinlich, dass das was bringt.

Dann begann ich gleich zu lesen – und wunderte mich selbst, dass es mich zunächst zu Boehm und gar nicht zu dem Roman zog. Also, das Buch, „Radikaler Universalismus jenseits von Identität“, ist großartig: klug und kenntnisreich, ich musste mich richtig anstrengen, um zu verstehen. Gleichzeitig von einem hohen Ethos getragen, das den Lesenden erschauern lässt durch seine Reinheit. Grundidee: Die erhabene Idee, dass alle Menschen als gleich zu betrachten sind, zu ihr gelangt man nicht durch verhandelten Konsens, nicht durch schnöden Pragmatismus (von Spinoza über Nietzsche bis hin zu den Denkern des Liberalismus und Neoliberalismus), der die Menschen zu „klugen Tieren“ degradiert, sie muss schon als metaphysisch, also göttlich, genau genommen mehr als göttlich (wie er mit einleuchtenden Beispielen aus der Bibel demonstriert) akzeptiert werden, sonst ist sie nichts wert.

Die Lektüre begeisterte mich, gab mir ein Gefühl von Reinheit, Schönheit, wahrhafter Gerechtigkeit. An einer Stelle jedoch fand ichs zu radikal: als er davon brichtet, wie nach der großen Schlacht im amerikanischen Bürgerkrieg in Gettysburg die Toten exhumiert wurden, um sie in Gut und Böse zu teilen: Die Nordstaatler wurden an Ort und Stelle und nun würdig wieder begraben, da das Schlachtfeld im Folgenden geheiligt wurde – die Südstaatler dagegen aussortiert und zur Beerdigung an ihre Heimatorte verbracht. Boehm fand das richtig, denn „die Wahrheit, dass alle Menschen zum Volk gehören müssen, wird durch den Ausschluss der konföderierten Soldaten hochgehalten“. Da fehlte mir dann ein bisschen die christliche Nächstenliebe, die Ungerechtigkeit hinnimmt, wenn sie dem armseligen Nächsten gegenüber Gnade walten lässt.

Ich schwenkte um zu Smith, und auch die verwirrte mich: ein historischer Roman, sehr englisch, sehr bodenständig, historisch präzise und voll bissigem Spott. Messerscharf im Sezieren familiärer und gesellschaftlicher Machtverhältnisse, ohne ein gelassenes Lächeln angesichts der Lächerlichkeit der Protagonisten, bitter in seiner Wahrhaftigkeit.

Also letztendlich so gnadenlos wie Boehm. Nur auf einer anderen Ebene, nicht in den Höhen philosophischer Ideen, sondern in den Niederungen historisch konkreter Alltäglichkeit. Dabei – ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch - gefallen mir beide Bücher ganz außerordentlich. Sie sind halt heftig, gehen zur Sache. Und wo mir das englische 19. Jahrhundert doch zu beklemmend wird, schalte ich um zu Boehms menschheitsumarmenden Ideen – und wo mir der zu sehr abschwebt, zurück zur Bissgkeit von Zadie Smith. Ich freue mich auf schöne Leseabende.

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