Dienstag, 25. November 2014
Aus dem Leben meiner Schüler: Freiwilliger Arier-Nachweis
Einer meiner Schüler – er stammt klischeehafterwiese aus der ostdeutschen Provinz – hatte neulich schon Aufsehen erregt, da er sich als begeisterter Anhänger der schwachsinnigen Reichsbürgeridee outete. Jetzt haben ihm seine rechten Freunde wohl einen neuen Blödsinn eingeflüstert: Der Vermerk „deutsch“ im Pass reiche nicht aus, um ihn juristisch sattelfest als wahrhaften Deutschen auszuweisen. Er ist mit Herkunftsnachweisen zu den Behörden gegangen, wurde zu seiner Enttäuschung an die Ausländerbehörde verwiesen (wo er doch Deutscher ist!) und hat dort für 25 Euro einen Schrieb erhalten, der ihm sein Deutschsein ausreichend nachweist. Wohin einen doch verbohrter Nationalismus bringen kann!
Allerdings gibt es diesen natürlich auch auf der anderen Seite des Behördentresens : Ein anderer Schüler (er trägt einen etwas osteuropäisch klingenden Nachnamen) erzählte in diesem Zusammenhang von der Auseinandersetzung mit einem Beamten des Ortsamtes, der blöde Bemerkungen über seine vermeintlich erschlichene deutsche Staatsangehörigkeit machte.
So oder so: Die Rechten lieben offenbar Pässe und gestempelte Bescheinigungen, misstrauen dem Gegenüber und der eigenen Identität.

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"erzählte in diesem Zusammenhang von der Auseinandersetzung mit einem Beamten des Ortsamtes, der blöde Bemerkungen über seine vermeintlich erschlichene deutsche Staatsangehörigkeit machte"

Erschlichene Staasbürgershcaften, da muss man vorsichtig sein!
Herrn M.s Schwester wurde vom Blutspenden nach Hause geschickt- sie habe kein deutsches Blut, das ginge nicht.

Ich muss mir auch mal so einen "echt echt deutsch"-Wisch besorgen. Und die M.s nehme ich gleich mit :-)

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Genau solche Geschichten habe ich hinter der absurden Regelung befürchtet. Eigentlich schade, dass Sie sie mir bestätigen. Ich hatte gehofft, dass das nur eine blöde Bürokratengestrigkeit ist.

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M.s (besonders M. senior) waren recht aufgebracht über die Sache. Auch die Nummer mit dem "deutschen Blut" löste mehr als nur Befremden aus.

Ich nehme mal die Familienunterlagen mit der schicken Doppelzackrune mit wenn ich mir das besorgen gehe. Und dann frage ich, ob sie immer noch nach den gleichen Parametern arbeiten, bei Spätaussiedlern wird die Volksliste ja auch herangezogen.

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Total interessanter Blog. Bin eben darauf gestoßen!

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Danke.

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Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.
Bertolt Brecht
Flüchtlingsgespräche 1940/41
man wird ja auch in bewerbungsgesprächen immer aufgefordert, sich neu zu erfinden. neben der guttenbergschen methode kann man das offenbar auch anders falsch verstehen...

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Ich finde das mit dem Sich-selbst-Erfinden gar nicht so verkehrt. Wenn man sich dazu bekennt.
Für mich war es zum Beispiel ein ganz großes Erlebnis, als meine Frau und ich anlässlich unserer Hochzeit es schafften, einen kleinen Diavortrag zu gestalten, in welchem wir unsere gemeinsame Geschichte darstellten (man muss dazu wissen, es gab vorher mehrere Beziehungsversuche und -abbrüche und entsprechend viel gegenseitige Aggressionen). Das war nicht "Wahrheit", sondern so etwas wie ein Verhandlungsergebnis. Und entsprechend ideologiehaltig.
Sie sehen daran, ich finde es auch nicht verkehrt, nach Ideologien zu handeln. Nur offenbaren sich diese Ideologien halt, wenn man Diavorträge zusammenstellt oder Pässe. Und jeder muss wissen, ob er mit der jeweiligen Legende leben kann und ertragen kann, wenn sich der Nächste drüber lustig macht.
Schön finde ich allerdings Brechts Hinweis, dass neue Menschen in der Regel erst dann entstehen, wenn man gar keiner Ideologie folgt, sondern einfach nicht nachdenkt. Hoffen wir, dass auch künftig viele Menschen auf diese Weise entstehen.

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