Dienstag, 23. September 2014
Rassistische Vorurteile im Alltag
Da der Zeitgeist sich mal wieder deutlich nach rechts neigt, möchte auch ich nicht zurückstehen und offenbare hier meine rassistischen Vorurteile.
Also, da war die Geschichte mit X., der vor zwei Jahren neu in die Klasse von damals junior kam, ein Junge mit – es heute so schön heißt – überwiegend russischen Wurzeln. Irgendwie, hatte ich den Eindruck, suchte er näheren Kontakt zu meinem Sohn. Allerdings war er zwar vielleicht zu freundschaftlichen Gefühlen fähig, keineswegs aber zu freundschaftlichem Verhalten, kurz: Er trat und provozierte meinen Sohn, wo er nur konnte. Dieser wiederum, der körperliche Auseinandersetzungen scheut und sich bei nötigen Prügeleien meist von seinem Freund Z. helfen lässt, traf dann im Sportclub auf X. und kein Z. war in der Nähe und damals jr. steckte die Sticheleien und Tritte ein und sparte seine Wut für den nächsten Morgen, an dem er X. in der Schule gegenübertrat und vor der versammelten Mannschaft anschrie: „Du bist ein Arschloch!“ Darauf fing X. an zu heulen. Er hatte doch nur Kontakt gesucht.
So weit die Rekonstruktion der Geschehnisse, als wir Eltern davon erfuhren. Meine Frau: „Der kann es einfach nicht, sich anders zu verhalten.“ – Ich: „Ist doch kein Wunder. Erinnerst du dich, wie er neu in der Klasse war und wie du was Nettes zu der Mutter sagen wolltest und ihr deine Bewunderung erklärtest, so ein schwieriges Schicksal zu meistern - als alleinerziehende Nomadin über verschiedene Länder bis nach Deutschland zu gelangen. Da wusste sie doch gar nicht, wovon du sprichst. Für sie war das selbstverständlich. Ob schwierig oder nicht oder irgendwelche anderen Gefühle, dafür hat die doch überhaupt keinen Sinn.“ – „Eben ein richtiger Russe, der X.“, warf daraufhin damals jr. ein.
Ich (Rassismus witternd): „Wieso denn das?“ – „Na, wie Putin.“, erklärt er mir. Der hätte doch auch irgendwie verständliche Interessen, aber sein Benehmen sei einfach nur „unverschämt.“ Da musste ich passen: Die Argumentation schien mir schlüssig und entspricht auch meinen eigenen antirussischen Vorurteilen.
Jetzt ist damals jr. auf dem Gymnasium und außer X. ist noch eins der schrecklichen Kinder aus seiner Grundschule mitgekommen: Y., ein Junge aus einer türkischen Familie: „Das sind die einzigen, mit denen es jetzt schon Stress gibt“, meint damals jr., „eigentlich sind sie umgekehrt. X. ist eigentlich gar nicht böse, nur nach außen, er kriegt es eben nicht hin, er tritt andere, stört im Unterricht und wird ständig von den Lehrern ermahnt. Y. fällt nicht auf, er ist mehr von innen böse. Er weiß ganz genau, dass er nicht schlagen darf. Er tut es nicht, solange ein Lehrer in der Nähe ist. Aber wenn nicht …“
Womit unsere Vorurteile vollständig sind. Aber wie immer bei Vorurteilen: Ist nicht irgendwie auch was dran?

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Das aus meiner Sicht Entscheidende bei Vorurteilen ist nicht so sehr, ob man sie hat oder nicht hat (die meisten von uns haben wohl welche), sondern eher, dass man sich dessen bewusst ist, dass es sich um Vorurteile handelt. Dem steht übrigens nicht entgegen, dass sich sich auch manchmal zu bestätigen scheinen.

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So ist es. Bei Berichten wie diesem fühl ich mich daher auch viel wohler als bei den meisten Politikstatements, die mir so aus der Feder hopsen: Dies hier hab ich erlebt, es stimmt, und da weiß man, was man hat - die zugehörigen Vorurteile und Verallgemeinerungen, die ich so habe, die sich der Leser vielleicht bildet - das ist nur die Garnierung, das kann man halten, wie man will.

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