Samstag, 26. Juni 2010
Vor 65 Jahren war der Krieg vorbei - kleine Gedenkrezension, Teil 2: Darf eine „Anonyma“ anonym bleiben und wer hindert sie eigentlich daran?
Ich weiß, ich bin mal wieder zu spät: Der Gedenktag ist lang vorbei, meine erste Rezension zm Thema "Kriegsende" hab ich auch schon vor einem Monat geschrieben; ich referiere eine Debatte aus dem Jahr 2004 und auch die unvermeidliche Verfilmung der "Anonyma" ist schon nicht mehr ganz aktuell. Aber ich gehe davon, dass sich meine Leser (seid gegrüßt, Ihr 5 -6 Getreuen!) dennoch an meinem Text erfreuen. Er ist das Ergebnis der Tatsache, dass ich letzte Woche ein bisschen Zeit und Muße hatte, um mal dem Tipp von K.Modick nachzugehen, dass es mit der Authentizität des Textes nicht allzu weit her sei.
Das Internet ist ja herrlich, es gab mir prompt einige Auskünfte, und danach stellt sich die Sache so dar: Eine Journalistin erlebt das Kriegende in Berlin, und das war für eine junge Frau ein grausiges Erlebnis, wie wir heute wissen. Sie notiert die Geschehnisse in einem Tagebuch, also für sich. Das Tagebuch zur Veröffentlichung freizugeben, dazu überredet sie zehn Jahre später ein guter Freund. Dieser Freund, ebenfalls Journalist, hat sich in den Kriegsjahren als propagandistischer Kriegsberichterstatter hervorgetan, es gelang ihm aber, nach dem Krieg eine zweite Karriere als Autor und Rowohlt-Lektor aufzubauen. Der Freund übernimmt das Manuskript (und überarbeitet es?), zunächst für eine amerikanische Ausgabe. Offenbar hat er – wie schon in den vierziger Jahren – einen guten Riecher für erfolgversprechende Trends: In den USA der 50er Jahre lassen sich russische Vergewaltiger gut verkaufen. Das Buch wird ein Erfolg. Davon angespornt bereitet der Mann auch eine deutsche Ausgabe vor. Diese aber floppt: In Deutschland ist Schweigen über die Vergangenheit angesagt. Hier haben einige einiges zu vertuschen, und damit das nicht so auffällt, schweigt man überhaupt, über Täter ebenso wie über Opfer. Und über Frauen sowieso.
Das Blatt wendet sich ein paar Jahrzehnte später. Die Kriegsgeneration ist alt, Lebensrückschau, sentimentales Erinnern angesagt. Diesmal ist es H. M. Enzensberger, der den guten Riecher hat: Er veranstaltet in seiner „Anderen Bibliothek“ (im Eichborn-Verlag) eine Neuausgabe des Buches – ein Riesenerfolg. Ob und inwiefern der Text nachbearbeitet oder nicht ganz echt sein könnte, prüft er nicht, wozu auch. Dann erhebt sich aber doch Protest. Jens Bisky weist in der „Süddeutschen Zeitung“ auf die Nazivergangenheit des Herausgebers hin, Gustav Seibt schließt sich ihm an. Da auch sie nicht wissen, ob bzw. wie authentisch der Text ist, werden sie stark angegriffen. Endlich kommt ein Journalist der ZEIT auf die Idee, die Witwe und Nachlassverwalterin des Herausgebers zu kontaktieren. Zum vereinbarten Treffen mit ihr ist aber ein Mitarbeiter des Eichborn-Verlags anwesend, der den Einblick in das Originalmanuskript verhindert.
Klar, dass das der Verlag nicht auf sich sitzen lassen kann – er bestellt einen Gutachter: Walter Kempowski. Das ist eine gute Wahl, Kempowski hat in derselben Zeit wie die Anonyma ebenfalls genug Schlimmes durch die Russen erlebt, so dass man sich seines Antikommunismus sicher sein kann. Allerdings ist er nicht nur Antikommunist, sondern auch korrekt. So erledigt er erstmal seinen Auftrag und erklärt, dass alle Geschehnisse im Buch authentisch sind und auf den Originialaufzeichnungen basieren. (Daran hat allerdings auch nie jemand gezweifelt, wie J. Güntner in NZZ richtig anmerkt.) Der in knappem Stil gehaltene, teilweise unfertige Text des Tagebuchs wurde später lediglich etwas literarisiert. Auch das ist ja normal. Interessant wäre die Frage, wer hier überarbeitet hat. Kempowski sagt (auftragsgemäß), er hätte keinen Hinweis auf das Eingreifen des Herausgebers finden können. Er sagt aber auch, warum: Es gebe, so hat er erfahren, neben abgetipptem Originalmanuskript und Buchausgabe noch ein drittes Manuskript, über das sich alle Beteiligten ausschweigen.
Fazit: Zwei Frauen (eine Autorin, eine Nachlassverwalterin) und viele Männer, eine schlimmes Schicksal und viele, die damit rumgetrickst haben. Und sicher ist nur eins: Was derzeit über die Leinwände flimmert (und von Max Färberböck sicherlich akkurat in Szene gesetzt wurde), basiert auf einer Literarisierung im Geist der 50er (oder sogar der frühen 40er?) Jahre. Und passt damit hervorragend in unsere Zeit.

... comment

<