Dienstag, 20. Januar 2015
Wasserstandsmeldung
Minus 800! Und das zehn Tage, bevor die Gehälter kommen! Mir war ja klar, dass es knapp wird, jetzt im berühmten Januarloch. Aber so schlimm? Warum schaffen wir es nie? Ich hatte ja in meinem Leben schonmal wenig Geld, sehr wenig Geld und auch mal gar kein Geld, jetzt ist es "einigermaßen" - das Problem bleibt das gleiche, ganz unabhängig vom monatlichen Limit: Es reicht nie!
Die Familien Quandt, Albrecht und Oetker werden mir sicher zustimmen.

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Donnerstag, 11. Dezember 2014
Ausreise in die Mündigkeit: „Westen“ von Christian Schwochow
Nach allem Gemecker über "Bornholmer Straße" und „Novemberkind“ habe ich nun einen richtig guten Schwochow-Film gesehen: „Westen“. Eigentlich wollte ich ja das Drehbuch lesen, da ich es so verrückt fand, dass es sowas im Netz gibt, wie arboretum verriet. Aber dann hab ich mir s doch mit einem Wein vorm Fernseher bequem gemacht.
Ästhetisch machte der Film erstmal nicht so viel her, was auf mich dann besonders stark wirkte, denn nach der Optik der ersten Minuten erwartete ich einen der üblichen DDR-Aufarbeitungsfilme und war dann umso überraschter, als ich hier in eine Geschichte verwickelt wurde, die es wirklich in sich hat.
Die Hauptfigur, Nelly, reist nach dem Tod ihres Mannes mit ihrem Sohn in den Westen aus, per Scheinheirat. Dort, im Notaufnahmelager, nimmt sie der amerikanische Geheimdienst in die Mangel, denn ihr verstorbener Mann war, wie sie nun erfährt, ein Doppelagent, und man vermutet, dass sein Tod nur fingiert war. Nelly lässt sich auf eine kurze Affäre mit dem amerikanischen Geheimdienstmann ein, wohl auch, um mehr, Genaueres zu erfahren. Aber der scheint gar nicht mehr zu wissen, warnt sie nur vor möglichen Stasi-Spitzeln in ihrem persönlichen Umfeld. Daraufhin fällt Nellys Verdacht auf Hans, einen ehemaligen DDR-Häftling, den sie im Lager kennen gelernt hat und der im Begriff ist, sich mit ihrem Sohn und ihr anzufreunden. Am Ende verlassen Nelly und ihr Sohn das Lager und damit die Zone der gegenseitigen Verdächtigungen. Sie ziehen in die Wohnung, die Hans ausfindig gemacht hat, und lassen diesen dort auch ein, als er zu Weihnachten klingelt.
In „Westen“ werden neben Deutsch zwei weitere Sprachen oft gesprochen: russisch und amerikanisches Englisch. Und tatsächlich bestimmt die Grundstruktur des Kalten Krieges auch diese Geschichte. Die Hauptfigur Nelly weiß es anfangs nur noch nicht. Sie muss erst in den „Westen“ gehen, um ihr bisheriges DDR-Leben nachträglich zu begreifen. Wie wahr!
Am Beginn ist Nelly naiv. Ihr Mann, der Russe, ist geheimnisvoll und zärtlich, und pflegt in Abständen immer wieder zu verschwinden. Nelly bewundert das. Als der Mann dann irgendwann für immer wegbleibt, hält es auch sie nicht mehr in der DDR, und prompt begegnet sie dem westlichen Spiegelbild ihres schönen Russen, dem schönen Amerikaner, einem attraktiven Schwarzen. Neben diesem wirken der westdeutsche Geheimdienstler und überhaupt die ganzen westdeutschen Lagerverwalter piefig, beinahe fies in ihrer subalternen Art. Nicht anders als die Subalternen in der DDR, die auch nicht mehr zu ertragen waren, nachdem Nelly ihren Mann, ihren Kontakt ins Internationale und nach Moskau, verloren hatte.
Das Leuchten, das erste Glücksgefühl, endlich im Westen und entronnen zu sein, vergeht schnell. Nelly und ihr Sohn Alexej schließen sich einer deutsch-russischen Familie an, die vital die Möglichkeiten des Westens nutzt. Später entsteht der Kontakt zu Hans, dem DDR-Oppositionellen, dem verkorksten Charakter, dem der Absprung aus dem Lager in die westdeutsche Wirklichkeit nicht gelingen will. Mich hat dieser Erzählstrang besonders bewegt: Denn es ist ja der kleine Alexej, der Vaterlose und Verlorene, der in dem seelisch zerstörten Hans eine gleichgesinnte Seele und einen Vaterersatz erkennt und ihn zu sich heranzieht, während die Mutter Nelly, frisch vom Rendevous mit dem Amerikaner kommend, in ihm vor allem einen Stasi-Spitzel sieht.
Am Ende kulminiert der Konflikt darin, dass die Lagerinsassen, dominiert von den Russen, Hans verprügeln und demütigen. Alexej nimmt Partei für Hans. Nelly ist sich unschlüssig.
Doch dann – die Russen sind inzwischen auch aus dem Lager ausgezogen – nimmt sie Hans‘ Vorschlag an und mietet die Wohnung, die Hans für sie gefunden hat. Es ist Weihnachten und Alexej und sie sind glücklich. Der Film endet damit, dass Hans, der mit dem deutschesten aller Namen, klingelt, und es scheint, dass ihm aufgetan wird.
In dem Interview zum Film betont die Drehbuchautorin Heide Schwochow, dass es ihr wichtig war, nicht aufzulösen, ob Hans nun ein Spitzel war oder nicht. Emotional und was die Filmlogik betrifft, ist er es nicht. Keine seiner Verhaltensweisen im Film ist auffällig verdächtig. Einzig sein Charakter, sein Gebrochensein, sei Loser-Zynismus könnten in diese Richtung deuten. Aber das ist sehr vage: Durch Diktaturen Gebrochene eignen sich gut zu Spitzeln (Sascha Anderson), vielleicht sind sie aber einfach nur gebrochen (Jürgen Fuchs). Vielleicht müssen sie sich zwischen beidem entscheiden („Der Kuss der Spinnenfrau“).
Letztendlich ruft der Film dazu auf, einen Schlussstrich zu ziehen unter die Logik des Kalten Krieges. Deutlich wird das an der ergreifenden Geschichte des Kindes. Der Kalte Krieg nahm ihm den Vater, der Kalte Krieg konfrontierte ihn mit der Verachtung durch die Westdeutschen, die Erfüllungsgehilfen der Amerikaner. Nur Hans, der mit dem einheimischen Schicksal, kann ihm ein Vater sein. Und wenn es zu diesem Schicksal gehören sollte, in Stasi-Fiesheiten verstrickt gewesen zu sein – nun, dann war es so. Das lese ich aus dem Film. Und bin nicht sicher, ob ich es unterschreibe. Aber wahrscheinlich schon.

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Dienstag, 25. November 2014
Aus dem Leben meiner Schüler: Freiwilliger Arier-Nachweis
Einer meiner Schüler – er stammt klischeehafterwiese aus der ostdeutschen Provinz – hatte neulich schon Aufsehen erregt, da er sich als begeisterter Anhänger der schwachsinnigen Reichsbürgeridee outete. Jetzt haben ihm seine rechten Freunde wohl einen neuen Blödsinn eingeflüstert: Der Vermerk „deutsch“ im Pass reiche nicht aus, um ihn juristisch sattelfest als wahrhaften Deutschen auszuweisen. Er ist mit Herkunftsnachweisen zu den Behörden gegangen, wurde zu seiner Enttäuschung an die Ausländerbehörde verwiesen (wo er doch Deutscher ist!) und hat dort für 25 Euro einen Schrieb erhalten, der ihm sein Deutschsein ausreichend nachweist. Wohin einen doch verbohrter Nationalismus bringen kann!
Allerdings gibt es diesen natürlich auch auf der anderen Seite des Behördentresens : Ein anderer Schüler (er trägt einen etwas osteuropäisch klingenden Nachnamen) erzählte in diesem Zusammenhang von der Auseinandersetzung mit einem Beamten des Ortsamtes, der blöde Bemerkungen über seine vermeintlich erschlichene deutsche Staatsangehörigkeit machte.
So oder so: Die Rechten lieben offenbar Pässe und gestempelte Bescheinigungen, misstrauen dem Gegenüber und der eigenen Identität.

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Freitag, 7. November 2014
Kürzestrezension: „Bornholmer Straße“
Ich weiß nicht, ob Sie das gesehen haben (ich als bekennender Ossi musste natürlich): „Bornholmer Straße“ von Christian, Heide und Rainer Schwochow in der ARD. Um mein Urteil vorweg zu nehmen: Das war ganz okay, regte keinen auf, war aber völlig verzichtbar – ein glattes, witziges Stricken an einem Mythos, den man sich getrost um 20.15 Uhr ansehen kann, der keinem weh und jedem wohltut und jegliche ernsthaften Konflikte außen vor lässt.
Wie kommt sowas zustande? Ganz einfach: Heide Schwochow hat in der DDR erst Pädagogik, dann Philosophie studiert („ein Studium, das in diesem Land kein Studium, sondern eine Gehirnwäsche war“, wie Martin Ahrends richtig bemerkte), bevor sie zum Rundfunk der DDR ging, also dem so ziemlich einzigen staatsnahen Bereich in der DDR, wo es nicht völlig doof zuging. Dort lernte sie Rainer Schwochow kennen, der nach einer gescheiterten Republikflucht zwar nicht wie üblich inhaftiert wurde, aber einige Jahre „Bewährung in der Praxis“ als Hilfsarbeiter absolvieren musste, ehe er ebenfalls beim Rundfunk unterkriechen konnte. Die beiden, die abtrünnige Funktionärin und der reuige Sünder, heirateten und gründeten eine Familie. Ihr Sohn Christian Schwochow verfilmt jetzt ihre Drehbücher.
Was für eine Familienverstrickung! Das ist ja klar, was dabei rauskommt! (Wenn meine Frau, in der DDR Ausreisekandidatin, und ich, damals Elitestudent, unsere Erinnerungen zusammenpacken wollten, da würde eine ähnliche Klischeesoße rauskommen, halt der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle irgendwie einigen können).
Was das Stilistische betrifft, orientiert sich „Bornholmer Straße“ natürlich an „Feuerwehrball“ von Milos Forman, der damit 1967 die Form vorgab, mit der man den realen Sozialismus am besten parodiert. Ja, eigentlich ist „Bornholmer Straße“ ein „Feuerwehrball“-Remake, nur ohne das anarchische Element, ohne Biss und ohne eine irgendwie lebendige Bevölkerung. Im Gegenteil: Bei den Schwochows sind die Ossis alle lieb, angepasst und doof, wie es sich gehört. Da mag ja ein Stückchen Wahrheit dran sein. Schön ist es nicht.

... und wenn Christian Schwochow mal Lust haben sollte, einen tatsächlich spannenden Film zu drehen, dann könnte er doch das Leben seiner Eltern verfilmen.

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Wie vor 25 Jahren?
1989 fiel in Deutschland eine Grenze – und ich werd immer dankbar sein, denn so wurde ich, ohne etwas dafür tun zu müssen, auf einmal ein Westeuropäer.
Jetzt, 25 Jahre später, gibt es diese Grenze immer noch, es sterben auch immer noch Menschen an ihr, wie eine linke Initiative (gefunden via che) richtig betont. (Ob dafür natürlich gleich Gedenkkreuze geklaut werden müssen, ist fraglich. Wenn man eine aktuelle Opfergruppe ehren will, indem man eine ältere verächtlich macht, dann ist das kein guter Stil.) Und auch sonst steht die Sache heute etwas anders: Damals konnten alle, Ost- wie Westdeutsche, letztendlich nur profitieren. Heute wissen wir Deutschen ganz genau, dass jedes Mitleid, jede Fairness gegenüber denen, die jetzt hier reinwollen, unseren Wohlstand nur noch weiter schmälern kann.
Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Ich wollte meine Überzeugung ausdrücken, dass eine andere Sache auch ganz so ist wie damals: Die Aktenschredder laufen wieder heiß, wie 1989/90, wie 2011/12. Denn in der NSU-Geschichte scheint sich der Wind langsam zu drehen. Nachdem schon der Bundestags-Untersuchungsausschuss recht erfolgreich gewesen ist (so viel hat bisher kein Geheimdienstuntersuchungsausschuss ans Licht gebracht) und also abgewürgt werden musste, läuft nun der NSU-Prozess, der doch eigentlich dazu dienen sollte, alles Beate Zschäpe in die Schuhe zu schieben, in dieselbe Richtung. Diese Woche sollte (gegen den heftigen Widerstand des brandenburgischen Innenministeriums) der V-Mann Piatto vernommen werden, zum Glück hat ihm Beate Zschäpe durch Krankmeldung noch eine Galgenfrist gewährt und der Verfassungsschutz darf noch ein paar Tage schreddern, dann muss Piatto aussagen, wie das nun war mit seinen Waffengeschäftsverhandlungen mit dem NSU, geführt über das vom Staat Brandenburg bezahlte Handy, und was sein Führungsoffizier (der jetzt Chef des Verfassungsschutzes in Sachsen ist) dazu gesagt hat. Und wie das nun eigentlich war in Heilbronn, wer dem NSU den Dienstplan von Michèle Kiesewetter übermittelt hat und wer die falsche Spur mit dem „Heilbronner Phantom“ gelegt hat, das werden wir auch noch erfahren.
So weit, so gut. Eins wird, fürchte ich, aber bleiben: „Mauertote“ in Griechenland, im Mittelmeer wird es weiter geben. Und auch der Verfassungsschutz wird nicht aufhören zu existieren wie einst die Stasi. Er wird sich wohl blamieren. Aber das wird die Struktur nicht hindern weiter zu wuchern.

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Montag, 3. November 2014
Wahlen verändern nichts, sonst ...
Den kennen Sie sicher auch, den blöden Spruch. Na ja, wie dem auch sei – jedenfalls, als ich heute Morgen schlaftrunken in die Küche kam, um mir von den 6-Uhr-Nachrichten des Deutschlandfunks ein bisschen von den Absurditäten der Weltpolitik erzählen zu lassen, da erfuhr ich, dass in Burkina Fasu das Militär geputscht hat. Der Gewaltakt solle aber, so ließen die neuen Machthaber verlauten, in allernächster Zeit durch Wahlen abgesegnet werden. Nicht anders in der Ostukraine: Auch dort wurden zunächst mit Waffengewalt Fakten geschaffen, jetzt legt man mit Wahlen ein dünnes demokratisches Mäntelchen über die anrüchige Sache.
Wenn man das so hört, dann kann man doch froh sein, dass in Deutschland der Bundespräsident seinen Unmut darüber äußert, dass in Thüringen die Wahlergebnisse umgesetzt werden. Immerhin beweist dieses Nörgeln, dass es zumindest in Thüringen doch einen Unterschied macht, wie gewählt wurde.
Und auch von der Bundeswehr ist ja nicht zu erwarten, dass sie putscht. Oder dass der Geheimdienst einen Mitarbeiter zum „Igor Schützenkönig“ ernennt und die Rolle des Revolutionärs spielen lässt, so schmierig-kitschig wie einst Sascha Anderson. Im Gegenteil: Hierzulande muss sich der Verfassungsschutz vom Gericht rügen lassen, wenn er einfach Politiker bespitzelt, und wenn er Kriminelle unterstützt, wird er sogar vor Untersuchungsausschüsse gezerrt.
Recht so! Mehr davon!

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Mittwoch, 29. Oktober 2014
Wie die Menschen, so die Katzen ...

... z. B. glotzt unsere gern schnurrend auf Bildschirme und schläft wohl auch mal davor ein .. nein, mal im Ernst:

Es ist schon verblüffend, wie doch die Tiere zu den Menschen passen. Bei Cassie, der engagierten christlichen Mutter aus der bremischen Diaspora, ist es natürlich ein irgendwo aufgelesener Straßenkater, der so sehr in die – etwas größere – Kleinfamilie integriert wird, dass dort auch die Menschenkinder grundsätzlich als Tiger bezeichnet werden. Bei Frau Morphine, Single, Großstädterin, Clubgängerin, weiß man gar nicht, woher manchmal diese Katzen auftauchen, die sich für ein paar Wochen in ihrer Wohnung einnisten und dann wieder spurlos verschwinden.
Wieder anders ist es bei meinem Schwager, der im Einfamilienhaus wohnt mit Frau, zwei Kindern, Meerschweinchen, Hand und natürlich auch Katze. Hier hat die Katze eine ebenso klare Herkunft wie auch Zukunft. Und einmal durfte sie auch Junge bekommen, dieses Frühjahr. Denn die Kinder wünschten sich das und es wurde ihnen und ihr auch genehmigt. Mit drei Monaten – das entspricht etwa dem Alter, in dem Menschenkinder in die sozialen Systeme von Kindergarten oder Schule gegeben werden – wurden die Kleinen weggeben, zumeist in die Nachbarschaft verschenkt. Zu Hause blieb nur eines der Kätzchen, natürlich ein Kater, Vincent mit Namen: Es sind immer die Jungs, die bei der Mama bleiben. Vincent ist jetzt halbwüchsig. Vincent wird schon lang nicht mehr gesäugt, stattdessen tritt er die Mama (die das geduldig erträgt), frisst ihr das Futter weg. Deshalb gibt es neuerdings endlich getrennte Näpfchen für die beiden.
Eine seiner Schwestern, Lilly, kam zu uns. Anfangs litt sie am Stockholm-Syndrom und liebte mich besonders, denn ich habe sie über 300 km Autobahn zu uns geholt, allein, nur einen Finger konnte ich der zu Tode Geängstigten in den Käfig stecken, unter latenter Gefährdung des Straßenverkehrs. Dann aber stellte sie sich schnell auf die Bedingungen hier ein: Wir sind zwei Erwachsene, berufstätig, und ein schulpflichtiges Kind in einer Mietwohnung (1. Etage) in der Großstadt. Der Vorgarten vor dem Haus gehört den Leuten unten bzw. deren Katze. Also ist Lilly ab Viertel vor Acht allein in der Wohnung, mindestens bis um zwei. In die verbleibenden Nachmittag- und Abendstunden (wenn endgültig das Licht ausgeht, legt auch sie sich zur Ruhe – in eins der Betten) muss sie Schmusestunden, Spiel mit den Menschen und Rausgehabenteuer reinbekommen. Also nimmt sie, was sie kriegen kann. Das Treppenhaus hat sie sich schnell erobert. Aber auch in den Garten mit der dicken roten Katze wagt sie sich allein – weil wir ihr klargemacht haben, dass die Haus- und Wohnungstür nicht ewig zu Katzenfluchtzwecken offen bleiben kann (bei uns in der Gegend wird gern geklaut und kalt wird es jetzt auch). Und wir Menschen sind stolz auf ihre Selbstständigkeit, als wäre es ein Menschenkind.

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Montag, 20. Oktober 2014
NS-Aufarbeitung: Schuld-Klischee und wirkliche Schuld
In der letzten Zeit habe ich zwei Bücher gelesen, in denen Söhne nach ihren Vätern fragen, was die so gemacht haben in der Nazizeit: „Mein Vater, der Deserteur“ von René Freund (sehr gut) und „Heimat. Eine Suche“ von Thomas Medicus (weniger). Jetzt war ich in den Ferien eine Woche wandern im Harz und da stand in der Buchhandlung von Thale etwas dazu Passendes: „Meines Vaters Land“ von Wibke Bruhns, das Buch einer Tochter über ihren Vater in der Nazizeit. Es war wahrscheinlich deshalb dort so prominent ausgelegt, weil Bruhns’ Vater, Johannes G. Klamroth (genannt HG), Harzer war: der Sohn des maßgeblichen Industriellen von Halberstadt am Harz, später selbst ein Harzer Honoratior. Ich nahm mir das Buch gleich mit und las es dieses Wochenende.
Ich mochte daran vor allem das, was Bruhns aus spezifisch weiblicher Sicht mit hineinbringt: die Geburten der Mutter und welche Rolle der Vater dabei spielt, die Ehebruchsgeschichten, sein Charme und seine Aufschneidereien in geselligem Kreise ... Von dieser Seite her nähert sie sich ihrem Vater auf eine Weise, die den Charakter sehr gut deutlich werden lässt: Es war ein konventioneller, etwas labiler Mensch.
In politischer Hinsicht war das Buch leider ziemlich enttäuschend: Die Autorin versucht sich ihren Vater (den sie nie richtig gekannt hat – er wurde, als sie sechs war, im Zusammenhang mit dem 20. Juli hingerichtet) mithilfe platter 68er-Klischees zu erklären: Sie fragt nach der Schuld des Vaters und biegt ihre Beobachtungen dabei auf Teufel komm raus auf das Klischee vom ideologischen Kollektivversagen der Vätergeneration zurecht – wobei sie die tatsächliche Schuld ihres konkreten Vaters glatt übersieht. Da mir dieser Denkfehler symptomatisch zu sein scheint, will ich ihn hier kurz erläutern.
Zunächst die Fakten, soweit ich sie dem Buch entnehmen konnte: J. G. Klamroth pubertiert spät und heftig, der ihm vorgezeichnete Weg als Firmenerbe will ihm gar nicht passen. Das kann man verstehen. In dieser Situation bietet sich ihm als Ausweg die Bewährung als Offizier im Ersten Weltkrieg an: Viel zu jung bekommt er viel zu viel Macht, an der er sich berauscht – seine Aufzeichnungen von der Ostfront sind von einer überheblichen Menschenverachtung gekennzeichnet. Die Autorin, seine Tochter, sieht hier schon eine Brutstätte dessen, was dann im Zweiten Weltkrieg geschieht. Das mag sein. Tatsache ist aber, dass er sich keiner außerordentlichen Kriegsverbrechen schuldig macht und nach dem Krieg – anders als seine Ideologie es nahelegt – auch nicht zu den Freikorps geht, sondern zurück auf den vom Vater vorgezeichneten Berufsweg, inklusive lokalpolitischer Betätigung, die traditionell gemäßigt rechts ist, nicht antibürgerlich rechtsradikal wie die mancher seiner bewunderten Offizierskameraden.
1933, Klamroth ist weder Antisemit noch mag er die Nazis besonders, gibt es, wie man weiß, einen Umsturz in Deutschland, die neuen Machthaber demonstrieren sehr schnell, dass es vorbei ist mit der Demokratie. Klamroth erwägt einen Kompromiss, ein Engagement beim „Stahlhelm“, konsultiert einen Bekannten, der dort im Vorstand tätig ist. Doch letztendlich entscheidet er sich, der deutlichen Aufforderung der neuen Machthaber nachzukommen, und tritt noch schnell vor dem Aufnahmestopp vom 1.Mai 1933 in die NSDAP ein – und, da ihm das allein doch zu blöd und proletarisch ist, auch in die SS, wo er sich als Reiter betätigen will (natürlich merkt er bald, dass er auch da verkehrt ist, und lässt die Sache ruhen). Als nicht verkehrt erweist sich aber das mit der NSDAP - sein guter Bekannter vom „Stahlhelm“ wird im Zuge des „Röhm-Putschs“ erschossen.
Im Krieg wird Klamroth, der aufgrund familiärer Verbindungen gut Dänisch kann, als Spionageoffizier nach Dänemark geschickt. 1941 bewirbt er sich an die Ostfront, wo er an verantwortlicher Stelle zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wird. 1944 wird er im Zusammenhang mit dem 20. Juli verhaftet, und, da er von den Putschplänen wusste, ermordet.
Aber wie beurteilt nun Wibke Bruhns dieses Leben ihres Vaters? Zunächst zieht sie eine Verbindungslinie von den militaristischen Großmachtphantasien des jungen Offiziers aus dem Ersten Weltkrieg zu seinem Eintritt in die SS 1933. Das ist sicher richtig, Ob, wie sie meint, auch die Tatsache, dass Klamroth so überschnell seinen Frieden mit den Nazis gemacht hat, damit zusammenhängt, da bin ich mir schon nicht so sicher.
Überhaupt: Seitenlang kann sie sich darüber empören, dass im Hause ihrer Eltern Hitler-Lieder gesungen wurden – so als bestände darin die eigentliche Schuld. Bruhns will uns weismachen, dass 1936/37 alle glücklich waren, bei den Klamroths wie in ganz Deutschland: „Man kann Autos kaufen zu moderaten Preisen ... Siedlungen über Siedlungen von Arbeiterhäuschen werden gebaut, die auch bezahlbar sind.“ Also, meine beiden Großväter (der eine eher rechts und der andere eher links) konnten die Nazis nicht leiden, so viel Kultur hatten sie schon (und J.G. Klamroth vermutlich auch). Barlach schuf seine berühmte Plastik „Das schlimme Jahr 1937“. Und vernünftige Arbeiterwohnungen wurden in den von Bruhns als so unsicher gekennzeichneten 20er Jahre Jahren, glaube ich, mehr gebaut als später zu Hitlers Zeiten.
Vor allem aber: Während Klamroths kritikloses, teilweise in der Tat übereifriges Sich-Einlassen mit dem Naziregime ziemlich dämonisiert wird von Bruhns („Großer Gott, ich dachte, ich hätte meinen Ekel und meinen Zorn verbraucht in all den Jahren, mein Entsetzen über die Gleichgültigkeit, die Anbiederei“), fällt ihr Urteil über die Kriegsverbrechen, die er später wirklich verübt, milde, ja verharmlosend aus: Klamroth hat 1942-43 die Erschießung etlicher Partisanen zu verantworten. Bruhns schreibt dazu: „Ich weiß nicht, wie ich mich dazu verhalten soll ... Soll ich mich empören, dass HG sie erschießen lässt? Keine Besatzungsarmee der Welt lässt sie gewähren und im Krieg schon gar nicht.“ Und später sogar offen lobend: „In dem einen Jahr hat er einen gut funktionierenden Laden dort installiert.“
Nimmt Bruhns in ihrer auch sonst manchmal spürbaren Aktengläubigkeit die Selbstschutz-Lüge Ihres Vaters (die Russen würden „zu diesem Weg gepresst, an dessen Ende nach völkerrechtlichen Bestimmungen der Tod durch Erschießen steht“) für bare Münze? Oder nimmt sie ihn bewusst in Schutz?
So oder so: Das Ende vom Lied ist, dass eine irgendwie allgemein böse Naziideologie den großen Dämon darstelllt, hinter dem konkrete Verbrechen einzelner Menschen, die aus dieser Ideologie heraus geschahen, verblassen. Das hat Wibke Bruhns sicher nicht gewollt, aber so wirkt es.
Das ist heute nicht anders, und wenn Sie mich kennen, wissen Sie, dass ich an den NSU-Skandal denke. Auch hier erkenne ich dieses Denkmuster: Da heißt es doch allgemein, gerade auch von links, schuld an dem Desaster sei die Tatsache, dass die Behörden auf dem rechten Auge blind gewesen seien. Und es sei alles nur passiert, weil die Polizisten, die Gesellschaft also letztendlich wir alle irgendwie viel zu rassistisch denken. Das ist alles nicht verkehrt. Aber es verschleiert den Blick auf konkrete Schuld: Da mögen doch Polizisten und Verfassungsschutzmitarbeiter denken, wie sie wollen. Es kommt darauf an, ob sie sich von solchem Denken zu Straftaten hinreißen lassen oder ob ihnen rechtsstaatliche Normen mehr wert sind als ihre privaten Ressentiments. Denn der NSU-Terror ist nicht passiert, weil alle weggesehen haben. Im Gegenteil: Er ist passiert, weil viele den Tätern aktiv geholfen haben. Und das ist strafbar und gehört ermittelt und bestraft. Und in diesem dringenden Auftrag hilft allgemeines Lamentieren über Rassismus nicht weiter, sondern nur konkrete Arbeit. Gott sei Dank gibt es Menschen, die diese Arbeit tun.

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Dienstag, 23. September 2014
Rassistische Vorurteile im Alltag
Da der Zeitgeist sich mal wieder deutlich nach rechts neigt, möchte auch ich nicht zurückstehen und offenbare hier meine rassistischen Vorurteile.
Also, da war die Geschichte mit X., der vor zwei Jahren neu in die Klasse von damals junior kam, ein Junge mit – es heute so schön heißt – überwiegend russischen Wurzeln. Irgendwie, hatte ich den Eindruck, suchte er näheren Kontakt zu meinem Sohn. Allerdings war er zwar vielleicht zu freundschaftlichen Gefühlen fähig, keineswegs aber zu freundschaftlichem Verhalten, kurz: Er trat und provozierte meinen Sohn, wo er nur konnte. Dieser wiederum, der körperliche Auseinandersetzungen scheut und sich bei nötigen Prügeleien meist von seinem Freund Z. helfen lässt, traf dann im Sportclub auf X. und kein Z. war in der Nähe und damals jr. steckte die Sticheleien und Tritte ein und sparte seine Wut für den nächsten Morgen, an dem er X. in der Schule gegenübertrat und vor der versammelten Mannschaft anschrie: „Du bist ein Arschloch!“ Darauf fing X. an zu heulen. Er hatte doch nur Kontakt gesucht.
So weit die Rekonstruktion der Geschehnisse, als wir Eltern davon erfuhren. Meine Frau: „Der kann es einfach nicht, sich anders zu verhalten.“ – Ich: „Ist doch kein Wunder. Erinnerst du dich, wie er neu in der Klasse war und wie du was Nettes zu der Mutter sagen wolltest und ihr deine Bewunderung erklärtest, so ein schwieriges Schicksal zu meistern - als alleinerziehende Nomadin über verschiedene Länder bis nach Deutschland zu gelangen. Da wusste sie doch gar nicht, wovon du sprichst. Für sie war das selbstverständlich. Ob schwierig oder nicht oder irgendwelche anderen Gefühle, dafür hat die doch überhaupt keinen Sinn.“ – „Eben ein richtiger Russe, der X.“, warf daraufhin damals jr. ein.
Ich (Rassismus witternd): „Wieso denn das?“ – „Na, wie Putin.“, erklärt er mir. Der hätte doch auch irgendwie verständliche Interessen, aber sein Benehmen sei einfach nur „unverschämt.“ Da musste ich passen: Die Argumentation schien mir schlüssig und entspricht auch meinen eigenen antirussischen Vorurteilen.
Jetzt ist damals jr. auf dem Gymnasium und außer X. ist noch eins der schrecklichen Kinder aus seiner Grundschule mitgekommen: Y., ein Junge aus einer türkischen Familie: „Das sind die einzigen, mit denen es jetzt schon Stress gibt“, meint damals jr., „eigentlich sind sie umgekehrt. X. ist eigentlich gar nicht böse, nur nach außen, er kriegt es eben nicht hin, er tritt andere, stört im Unterricht und wird ständig von den Lehrern ermahnt. Y. fällt nicht auf, er ist mehr von innen böse. Er weiß ganz genau, dass er nicht schlagen darf. Er tut es nicht, solange ein Lehrer in der Nähe ist. Aber wenn nicht …“
Womit unsere Vorurteile vollständig sind. Aber wie immer bei Vorurteilen: Ist nicht irgendwie auch was dran?

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Mittwoch, 27. August 2014
Religiöse Etiketten
Seit einigen Wochen beschießt, so hört man, die „radikal-islamische Hamas“ Ziele in Israel mit Raketen. Gestern sind auch wieder Raketen eingeschlagen. Allerdings waren die Urheber diesmal „militante Palästinenser“, wie der Deutschlandfunk meldete. Nanu, dachte ich beim Zuhören: War es diesmal tatsächlich jemand anderes? Oder zeigt die neue Sprachregelung nur einen Bündniswechsel an – so wie bei der Organisation mit dem anmaßenden Namen „Islamischer Staat“: Die Leute firmierten ja vor einem Jahr auch noch als „Aufständische“ in Syrien, die nur ein ideologisch verblendeter Assad als „Terroristen“ bezeichnen konnte.
Was in diesen Gegenden wirklich vor sich geht, erfahre ich (als täglicher Nachrichtenkonsument, der keine Lust zu tiefer gehender Recherche hat) ja sowieso nicht, mich ärgert nur (und über Politik schreibt man ja nur, wenn man sich ärgert) dieser offensichtliche Missbrauch religiöser Bezeichnungen für militärische Propaganda-Zwecke – egal, ob nun als Feindbild gemeint („radikalislamisch“) oder ganz aus der eigenen Anmaßung entstanden („Islamischer Staat“). Erinnert mich irgendwie an den dreißigjährigen Krieg, in dem ja die Kriegsparteien auch versuchten, ihrem Machtkampf den Anschein einer religiösen Auseinandersetzung zu geben. Ob die es im Nahen Osten auch so weit treiben werden wie einst hier in Mecklenburg, wo am Ende ganze Landstriche entvölkert waren?

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Donnerstag, 14. August 2014
Das Schiedsgericht und die Gerechtigkeit: Zum YUKOS-Urteil
Selbst die taz hält das Schiedsgerichtsurteil für gerecht, das Chodorkowski und den Seinen Milliardenentschädigungen zuspricht. Wie kann man nur so kurzsichtig sein?
Chodorkowskis Reichtum kommt nicht aus dem Nichts. Ihm und den Seinen wurde Anfang der Neunziger ein ehemals staatliches Ölunternehmen zugeschoben, damit die Filetstücke des zerfallenden Sowjetimperiums in die Hände treu schlitzohriger Komsomol-Funktionäre fallen, nicht in die Hände westlicher Geschäftsgeier, die schon auf die leichte Beute am toten Körper des exkommunistischen Kolonialreiches lauerten.
Gut: Chodorkowski hat das ihm zugefallene Erbe gut verwaltet, den Profit gemehrt. Dass er aber Jahre später glaubte, das Ganze gehöre doch ihm persönlich und er könne Anteile davon nach Belieben ins Ausland, gar in die USA, verkaufen, das war dann doch Selbstüberschätzung: Logisch, dass die, die ihm den Reichtum einst beschert, einschritten und ihm das Unternehmen wieder wegnahmen, um es in die Hände loyalerer Untertanen zu legen. Nur ein paar Millionen Privatvergnügen durften die Leute jeweils behalten, zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts.
Wenn jetzt ein Schiedsgericht Chodorkowski eine Entschädigung zuspricht, weil ihm durch Betrug genommen wurde, was ihm einst durch Betrug zufiel, dann geht es keinesfalls um irgendeine Gerechtigkeit diesen Leuten gegenüber.
Pack schlägt sich, Pack verträgt sich – so ist das nunmal. Warum bemühen sich internationale Gerichte mit der Nachverfolgung dieser gegenseitigen Gaunereien? Und warum rege ich mich darüber auf?

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